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Die höchste Strafe verhängten Tschechen

Juristen aus Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn behandelten auf einer Strafrechtstagung einen fiktiven Raubüberfall und lernten so etwas über das Justizsystem der Nachbarn  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Das härteste Urteil fällten die Tschechen: acht Jahre Freiheitsentzug. Die deutschen Richter verurteilten den Angeklagten wegen Raubes zu einem Jahr und acht Monaten, die Polen zu einem Jahr und sechs Monaten. Und das ungarische Gericht hielt gar ein Jahr und zwei Monate für eine angemessene Strafe.

Zur Hauptverhandlung stand viermal der identische Fall: Ein 25jähriger Arbeitsloser stiehlt am hellichten Tag einer Frau in der Fußgängerzone die Handtasche. Die Frau ruft vergebens um Hilfe. Später prahlt der wegen Vergewaltigung vorbestrafte Dieb gegenüber einem Zeugen mit dem in der Handtasche gefundenen, gut gefüllten Sparbuch. Der Angeklagte leugnet die Tat. Eine fiktive Geschichte. JuristInnen aus Sachsen, Polen, Tschechien und Ungarn verhandelten diesen Raub jeweils an einem Tag nach nationalem Recht und in der Landessprache. Sie spielten Staatsanwalt, Richter, Verteidiger, Angeklagter, Zeugen und Prozeßbeobachter. Unterschiede stellten sie nicht nur in Äußerlichkeiten fest: Vor dem tschechischen Gericht sitzt der Angeklagte allein, vor dem deutschen neben seinem Verteidiger. Differenzen bestehen sowohl im Straf- als auch Prozeßrecht: Wie wirken Vorermittlungen in die Hauptverhandlung hinein? Welche Rechte stehen der Verteidigung zu? Wie ist das Zeugnisverweigerungsrecht geregelt?

Der tschechische Angeklagte fing sich die hohe Strafe deshalb ein, weil er mit der erst zwei Jahre zurückliegenden Vorstrafe, als „besonders gefährlicher Rückfalltäter“ gilt.

Vor Jahren wurde ein ähnliches Prozeßspiel in Frankreich abgehalten, nur mit TeilnehmerInnen aus EU-Ländern. Diesmal war eine Beobachterdelegation aus der Bretagne nach Dresden gekommen. Jaques Segondat, Oberstaatsanwalt in Rennes, staunte nicht schlecht über die „Ausgewogenheit“ der Verfahren. Ein Prozeß nach französischem Recht hätte ein ganz anderes Bild ergeben: „Dort dreht sich alles um den Herrn Vorsitzenden.“ Bei ihm zu Hause würden „zwanzig solcher Prozesse an einem Nachmittag durchgezogen“. Dafür wäre der Angeklagte aber vielleicht mit einer geringeren Strafe davongekommen.

Eine bessere Zusammenarbeit der Justizbehörden Deutschlands mit denen der Nachbarstaaten hatte der sächsische Justizminister Steffen Heitmann zu Beginn des Workshops gefordert. „Umständliche Dienstwege“ würden dies noch erschweren, was ausdrücklich auch für die Verhältnisse innerhalb der EU zutreffe. Diese vier Prozeßtage haben gezeigt, daß Polen, Tschechien und Ungarn als EU- Beitrittskandidaten ein kompatibles Strafrecht mitbringen.

Sachsens Generalstaatsanwalt Jürgen Schwalm zitierte in seinem Abschiedswort den Leipziger Rechtsgelehrten Karl Binding — jenen Mann, der in seinem berüchtigten, schon 1920 erschienenen Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“, ein juristisches Programm für die Tötung psychisch und physisch behinderter Menschen entworfen hat. Binding im Jahr 1996 klang noch so: Der Glaube an die Rechtspflicht werde erschüttert, wenn in einer „national einigen und wesentlich auf gleicher Kulturstufe stehenden Bevölkerung hier erlaubt, was dort verboten, hier dasselbe Delikt mit Strafe, dort nur milde geahndet wird, hier Strafen für unzulässig erklärt werden, die jenseits der Grenze ihr Anwendungsgebiet besitzen“.

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