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■ Berlin: Von der Weltstadtillusion zum RegionalzentrumDie Schatten des Alexanderplatzes

Für die Berliner Friedrichstraße ist heute ein ganz besonderer Tag. Nachdem die Eröffnung der Friedrichstadt-Passagen – einst Honeckers und später Diepgens Renommierprojekt – wegen gähnender Leere bereits dreimal verschoben werden mußte, gilt ab heute: Augen zu und durch. Was nicht vermietet ist, wird dekoriert – so schön können Investitionsruinen sein. Im Jahre sechs nach der Wiedervereinigung des Immobilienmarktes herrscht an der Spree noch immer Gründerzeitstimmung. Als wären leere Bürowüsten und ein Hyperangebot an Einzelhandelsflächen nur die kurzzeitigen Schönheitsfehler einer auf lange Sicht schönen, heilen Aufschwungswelt, wird am Logo „Europäische Dienstleistungsmetropole Berlin“ munter weiter gebaggert und betoniert.

Dabei haben schon 1992 führende Wirtschaftsexperten dem Senat ins Stammbuch geschrieben, von den irrealen Metropolenträumen zu lassen und sich statt dessen auf die Option einer „Hauptstadt mit großstädtischer Wirtschaftsstruktur“ zu konzentrieren. Andernfalls, so lautete die unmißverständliche Warnung, drohe Berlin nicht nur irreparabler Schaden an der städtebaulichen Substanz, sondern gar der freie Fall hin zu einem bloßen „Regionalzentrum- Ost“. Heute, vier Jahre später, ist genau das eingetreten. Qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab, und ohne die Zuwanderung aus Osteuropa würde die Bevölkerungszahl sogar sinken.

Fatal ist dabei vor allem, daß es zwar Warner gibt, aber keinen, der sie hören will. Die Bauherren aus Wirtschaft und Politik bestätigen damit aufs treff-

lichste, was der amerikanische Stadtforscher Richard Sennett einmal gesagt hat: Statt aus Fehlern zu ler-

nen, macht man weiter wie bisher, in der Hoffnung, daß man sich in seinen Zweifeln auch geirrt haben könnte.

Jüngstes Beispiel dieser planerischen Schizophrenie ist der Alexanderplatz. Dort sollen die Luftschlösser einer vergangenen Planungseuphorie trotz fehlender Investoren planungsrechtlich festgeschrieben werden. Der Alexanderplatz wird deshalb einmal das Synonym für das Scheitern der Berliner Stadtplanung sein, ein Ort, wo die baulichen Torsi einer grandiosen Fehleinschätzung mit der sozialen Realität eines europäischen Armenhauses unmittelbar aufeinandertreffen werden. Uwe Rada

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