: Atmosphäre wie in einem Schauprozeß
Sie sollte der Verständigung dienen, doch es kam schnell zum Eklat: Bei einer Anhörung über das KZ und spätere Internierungslager Buchenwald verweigerten Naziopfer den Dialog ■ Aus Weimar Anita Kugler
Ein Eklat überschattete am Montag die Anhörung der Enquete-Kommission des Bundestags über eine „Gedenkstättenarbeit für Nachgeborene“. Unter der Leitung von Siegfried Vergin (SPD) wollte die Kommission mit dem sperrigen Namen „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit“ diskutieren, wie mit den ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagern umzugehen sei, die unmittelbar nach der Befreiung zu Internierungslagern der sowjetischen Besatzungsmacht wurden. Dazu traf man sich in Buchenwald, dem authentischen Ort dieser schwierigen, doppelten deutschen Vergangenheit. Aber der Versuch der Kommission, die seit Jahren existierenden Gesprächsblockaden zwischen Vertretern der Häftlingsorganisationen des nationalsozialistischen Terrors und den Opferverbänden kommunistischen Unrechts endlich aufzubrechen, scheiterte.
Er scheiterte an der versteinerten Haltung des Präsidenten des Internationalen Lagerkomitees des KZ Buchenwald-Dora, Pierre Durant. Statt auf dem Podium mitzudiskutieren, wie das Erinnern an zwei Diktaturen für zukünftige Generationen möglich ist, ohne die Verbrechen der Nazizeit mit Hinweis auf die sowjetischen Speziallager zu relativieren oder umgekehrt, sowjetisches Unrecht mit Hinweis auf den NS-Terror zu bagatellisieren, verlas er eine dreiseitige Erklärung seiner Organisation. Sie sei Ende September von Delegierten aus 26 Ländern einstimmig angenommen worden, auch von Romani Rose, dem deutschen Vorsitzenden der Sinti- und Roma-Union, erläuterte Durant. Zuerst sprach er der Kommission des Bundestags das Recht ab, das Internationale Lagerkomitee in Diskussionen verwickeln zu wollen, die allein Deutschland angehen – was für Unruhe sorgte.
Dann aber kam er richtig zur Sache. Er unterstellte der Bundestags-Kommission, daß sie „Feuer und Wasser“ miteinander vergleicht, daß sie die nazistischen Lager mit den späteren Internierungsstätten vermischt. Dann erklärte er pauschal die Sprecher von Häftlingsgruppen sowjetischen Unrechts zu „Verteidigern“ und sofort danach sogar zu „Vertretern unserer Henker“, mit denen er nicht am Tisch sitzen könne. Anschließend stand der Mann, der 1945 für die französische Häftlingsgruppe den berühmten „Schwur von Buchenwald“ geleistet hatte und heute zu den dogmatischsten Vertretern der KP Frankreichs gehört, abrupt auf, verließ das Podium und die Veranstaltung auf Nimmerwiedersehen.
Es war eine Demonstration, bei der die über 100 Anwesenden im Raum eine Ahnung davon erhielten, wie sowjetische Schauprozesse abgelaufen sind. Ulf Müller zitterten noch Stunden später die Hände. Er sprach auf der Anhörung für die Sozialdemokraten, die in der SBZ vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet wurden, weil sie sich der Bolschewisierung oder der Zwangsvereinigung von KPD und SPD entgegengestemmt hatten.
Nach Durants dramatisch inszeniertem Abgang – Danuta Brzoska Meydryk, Sprecherin der Frauen im Internationalen Buchenwald- Komitee, zog ebenfalls mit aus – saß Ignatz Bubis dann als einziger Repräsentant der Verfolgten des Naziregimes noch auf dem Podium. Wie wohltuend und in der Wolle gefärbt demokratisch plädierte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland dagegen für die gründliche Aufarbeitung der Geschichte von „Stalins willigen Helfern“. Er forderte die Historiker auf, „ohne Emotionen“ und ohne dabei die zwei Diktaturen zu vermischen, die Vergangenheit zu analysieren. Dazu müßten die Akten der Gauck-Behörde weiterhin zur Verfügung stehen. Die Gefahr einer Vermischung droht keinesfalls, so ist die Anhörung zusammenzufassen. Nur mit den Emotionen, das bleibt weiterhin schwierig. „Wir müssen sie kontrollieren“, sagte ein Sachverständiger. Dafür erhielt er von den Kollegen Beifall, der Rest schwieg: Denn wie soll man Emotionen kontrollieren, wenn die Wunden, die sich die verschiedenen Häftlingsgruppen schlagen, so tief sind.
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