: Kurze Einführung in die Zeitungswissenschaft II Von Martin Sonneborn
Ha! Einmal einem dreiwöchigen Teil des naßkalten mitteleuropäischen Herbstes ein Schnippchen schlagen: einfach nach Südafrika übersetzen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und außerdem mal feststellen, wie der vor Jahren ausgewanderte Onkel eigentlich über Apartheid denkt.
Das mögen sich auch für 1996 wieder viele Leser vorgenommen haben. Aber: Verschwindend gering ist bereits der Rest der Tage; mit Riesenschritten geht das Jahr zu Ende, und der einzige, der's bisher geschafft hat, ist Herr Rethmeier aus Bielefeld. Er ist hinübergeflogen; die Sonne schien ihm auf den Bauch. Und auch die Grundzüge im politisch-gesellschaftlichen Denken seines Onkels sind ihm jetzt viel klarer. Der nämlich, Besitzer einer kleinen Farm, spendierte seinen schwarzen Angestellten zu seinem Geburtstag ein 30-Liter-Faß südafrikanisches Bier, sogar solches, das nach „the german Reinheitsgebot“ gebraut worden war.
Weil er aber seine Neger nicht so gerne im Hause sieht, lud er sie auf den Hof vor der Garage ein. Das mag dem aufgeklärten Kenner abendländischer Geburtstagsfeiern auf den ersten Blick ein wenig verwunderlich scheinen. Für Südafrika jedoch – das muß man bedenken – gilt neben anderen Temperaturen weitgehend auch noch Meyers Konversationslexikon von vor 1896, und das meint: Vom Charakter her sind die Neger heiter, eitel, gefallsüchtig, lügenhaft und sinnlich. Musik lieben sie sehr, in Holzschnitzerei, Eisenbearbeitung und Töpferei haben sie es aber nicht weit gebracht.
Da reicht also die Garage. Als die Stimmung am besten bzw. das Faß gerade leer war und die feingelaunten Angestellten ihren Gastgeber fast sentimental als „good man“ unter den übrigen weißen Landbesitzern auszeichneten, ließ er sich nicht lumpen und legte noch eine Flasche Brandy zu. Nicht ohne allerdings der ausgelassenen Feierei eine zeitliche Grenze zu setzen: In genau 30 Minuten, verkündete er, werde er dann die Dobermänner loslassen.
Zwei Kontinente – ein Problem. Wer schon einmal aus einer Laune heraus in Berlin das stolze „Medien-Café“ La Strada aufgesucht und dort den Wirtschaftsredakteuren des Berliner Tagesspiegels gelauscht hat, wird das gerne bestätigen. An manchen Tagen nämlich ergeht es den weißen Wirtschaftsspezialisten offenbar ganz ähnlich wie den schwarzen Angestellten des Onkels von Herrn Rethmeier, Bielefeld. Gutgelaunt sitzen sie nachmittags mit ihrer Brandyflasche vor der Garage herum, da fällt der Redaktionsleiterin plötzlich ein, daß noch ein Kommentar fällig sei: Und in genau 30 Minuten ist Redaktionsschluß! Redaktionsschluß beim Tagesspiegel aber ist wie heulende Dobermänner, da geht nichts mehr. Daß bei dem sofort zusammengezimmerten Spontankommentar kein „Axel-Springer-Preis für Nachwuchsjournalisten“ herausspringen kann, muß wohl jedem klar sein. Auf den naheliegenden Gedanken allerdings, mit dem angefügten Vermerk „PS: Diese Zeilen wurden unter enormem Zeitdruck erstellt“ eventuell maulenden Lesern den Wind aus den Segeln zu nehmen, sind sie bisher aber doch noch nicht gekommen beim Tagesspiegel.
PS: Diese Zeilen wurden unter enormem Zeitdruck erstellt. Ich kann den Herbst bereits heulen hören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen