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„Zauberformel ABM“

■ Das Schnürschuh-Theater wird 20. Zuerst hieß es: Bitte keine Staatsknete, jetzt schlägt sich das Ensemble mit vier Stellen durch

Das waren noch Zeiten, als der Arbeitssenator anrief im Schnürschuh-Theater mit der Frage: Braucht ihr noch ABM-Stellen? Zehn Jahre ist das her, damals hieß die Zauberformel ABM, und nicht nur für das Schnürschuh-Theater war das ein starker Reiz, künstlerisch oder sozialpädagogisch aktiv zu werden oder zu bleiben. Jetzt ist das Schnürschuh-Theater 20 geworden, viereinhalb feste Stellen gibt es, vier Schauspieler arbeiten auf Honorarbasis. Angefangen hatte die Truppe, die seit zwei Jahren in einem ehemaligen Kino am Buntentorsteinweg 145 residiert, 1976.

Dreizehn Leute waren mit dabei, man machte Straßentheater und spielte in Bürgerhäusern und Jugendzentren – halt überall, wo sich spielen ließ. Damals glaubten die Schnürschuh-Leute noch, etwas bewegen, die berühmten „Denkprozesse in Gang bringen“ zu können, wie Kurt Wobbe, Ensemblemitglied der ersten Stunde, formuliert. Das gesellschaftliche Klima war danach. 1976 waren die Schnürschuh-Leute im Studentenalter, spielten schon zehn Abende im Monat und hatten schließlich so lange studiert, bis die Bafög-Zahlungen ausblieben. Die, die weitermachen wollten, machten weiter, sicherten sich finanziell durch Nebenjobs ab. „Staatliche Förderung haben wir damals abgelehnt“, sagt Wobbe; die Befürchtung behördlicher Einflußnahme in die Theaterarbeit war zu stark.

Früher gab es konzeptionell viele Gemeinsamkeiten mit dem Berliner Grips Theater, erzählt Wobbe. Doch die oft allzu harmonischen Schlüsse waren nicht die Sache der BremerInnen. „Bei unseren Stücken bleiben immer Fragen offen.“ Und auch der pädagogische Zeigefinger werde nicht gestreckt. Die Stücke schreiben sie immer noch zu 80 Prozent selbst, früher im Teamwork, heute entwickelt sie ein Ensemblemitglied. Regie geführt wird nicht mehr als Kollektiv. „Wenn man sich so lange kennt, kommt bei jeder Bemerkung immer gleich die ganze Vergangenheit mit hoch.“

Vier SchauspielerInnen der ersten Stunde sind noch dabei im Schnürschuhtheater. Sie müssen damit zurechtkommen, mittlerweile die 40 überschritten zu haben und bisweilen noch immer Jugendliche zu mimen. Für Kurt Wobbe kein Problem. Man müsse nicht zwangsläufig 16 sein, um einen Teenager darzustellen; ein 30jähriger könne das auch noch, vielleicht sogar plausibler. Aber ein Vierzigjähriger? „Solche Rollen besetzen wir oft mit jüngeren Honorarkräften.“

Warum man nach 20 Jahren immer noch zusammen ist? Nicht unbedingt, weil wir uns „so gut leiden können“, sagt Wobbe. Der Zusammenhalt kommt eher durch das feste Haus, Symbol dafür, etwas erreicht zu haben. Schließlich verfügen nur zehn Prozent der freien Gruppen über eine feste Spielstätte, so Wobbe. Und natürlich fördert auch die Resonanz aus dem Publikum das Fortbestehen der Gruppe. Den Vortragssaal in der Kunsthalle mit 300 BesucherInnen zu füllen, war noch vor Jahren problemlos, und das zehn Abende lang. Jedoch: „Die Zeiten für das freie Theater sind schwieriger geworden“, sagt Wobbe. „Die Leute wollen mehr Comedy und Chansons.“ Schwierig sei es zudem, mit vier Leuten ein Theater zu führen und noch zu auswärtigen Gastspielen zu fahren. Was sein muß, um zu überleben. 100.000 Mark jährlich wollen eingespielt sein, 500 Mark pro Abend – keine niedrige Hürde für das Theater, in das mit Mühe 120 Besucher passen. Konsequenz: Eingeladene freie Gruppen – bis März '97 ist man schon ausgebucht – spielen ohne Gage. Und wie lange das Schnürschuh-Theater selbst noch spielen wird, ist auch nicht klar. „Wir sagen uns nie: Was ist in fünf Jahren?“ Schließlich könnte ja dem Haus im Buntentorsteinweg schon im nächsten Jahr der Etat gekürzt werden. Doch noch ist man stolz auf seine „guten Kontakte“ zu Schulen, auf seinen guten Ruf in der Sparte Jugendtheater in der Stadt. Und manchmal komme es schon mal vor, daß SchauspielerInnen von anderen Ensembles, auch vom Bremer Theater, anfragten, ob sie denn im Schnürschuh-Theater mal was machen könnten.

Alexander Musik

Zum Jubiläum gibt's die Revue „Bretter, die die Welt bedeuten“ mit einem Querschnitt aus 20 Jahren Schnürschuh-Produktionen. Premiere morgen, 20 Uhr.

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