: „Die praktische Wirkung wird gering sein“
■ Der Berliner Strafverteidiger Nicolas Becker beurteilt das Reformpaket des Bundesjustizministeriums skeptisch: Härtere Strafen bei Körperdelikten bringen nichts
taz: Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig von der FDP nennt als Ziel seiner Reform die „Harmonisierung von Strafrahmen“. Körperdelikte sollen künftig härter bestraft werden. Ist dieser Vorstoß wünschenswert?
Nicolas Becker: Symbolisch ist es richtig, daß der Eigentumsschutz etwas zurückgedrängt wird und körperliche Unversehrtheit und Leben mehr in den Vordergrund gestellt werden. Die praktische Wirkung wird aber gering sein. Schaut man sich zum Beispiel die Reduzierung des Strafrahmens beim schweren Raub von fünf auf zwei Jahre an, dann wird es dazu führen, daß die Gerichte die gleichen Strafen, die sie bisher über den sogenannten minder schweren Fall ausgesprochen haben, nun mit weniger juristischer Akrobatik über den normalen Fall aussprechen werden.
Die vorgesehene Harmonisierung sieht auch eine Vielzahl von Straferhöhungen bei Delikten gegen Leib und Leben vor. Nützen höhere Strafandrohungen etwas?
Nein. Die Mehrzahl der Gewaltdelikte geschehen spontan aufgrund von Aggressionen. Bei dem kleinen Entscheidungsprozeß, der vor Ausführung der Tat vielleicht noch abläuft, bewirkt die erhöhte Strafandrohung gar nichts.
Hohe Strafen haben also keine ...
... abschreckende Wirkung. Man kann das beim Betäubungsmittelrecht sehen. Da ist schon vor Jahren die Höchststrafe von zehn auf fünfzehn Jahre angehoben worden. Zu einer Verminderung von Straftaten in diesem Bereich hat das nicht geführt. Auch in Amerika, wo die Strafen sehr viel höher und die Richtlinien für die Richter sehr viel strikter sind, gibt es keine Verhaltensänderungen.
Wen treffen Reformen wie die jetzt vorgesehene am stärksten?
Es ist ein Problem, das im wesentlichen die Strafen für solche Delikte erhöht werden, die von der sogenannten Unterschicht begangen werden. Es ist klar, daß „bessere“ Bürger sich weniger prügeln und die Gewaltdelikte daher zumeist auf Unterschichten begrenzt sind. Ein Mißverhältnis bei den derzeitigen Strafhöhen besteht zwischen den Sanktionen gegen Wirtschaftsverbrecher und den Durchschnittsstraftätern. Wenn man den volkswirtschaftlichen Schaden mit den verhängten Strafen vergleicht, dann kommen die kleinen Leute viel schlechter weg.
Aber liegt das an den vorgegebenen Strafrahmen oder an der Spruchpraxis der Gerichte?
Das liegt vor allem daran, daß bei den großen volkswirtschaftlichen Schäden, die durch Steuerhinterziehungen oder massive Betrügereien herbeigeführt werden, wegen der Komplexität der Sachverhalte kein Prozeß geführt wird. Vielmehr finden im Vorfeld Absprachen statt, die oft dazu führen, daß Strafen bis zu zwei Jahren verhängt und zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei den normalen Kleinkriminellen werden hingegen eine Vielzahl von kleinen Diebstählen und kleinen Gewaltdelikten addiert und Gefängnisstrafen erkannt.
Welche Reformen wären denn nach Ihrer Meinung lohnend?
Das Einschließen von Menschen hat wenig Wirkung und produziert im übrigen auch wieder Kriminalität. Mir wäre daher lieb, wenn die Möglichkeiten zur Strafaussetzung auf Bewährung auch bei Strafen bis zu drei Jahren möglich wäre. Auch sollte man über sogenannte Strafarbeiten — die Amerikaner nennen das community work — mehr nachdenken. Die Kleinkriminalität, wie etwa Ladendiebstähle, sollte in den Bereich von Ordnungswidrigkeiten verdrängt werden. Schließlich bin ich vollkommen gegen die zwingend vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord. Sie ist nicht nur unmenschlich, sie stellt auch ein undifferenziertes Korsett für eine Fülle von verschiedenen Straftaten gegen das Leben dar und verhindert jede vernünftige Differenzierung bei den Strafen.
Der Entwurf erweitert in vielen Fällen den möglichen, vom Richter im Einzelfall zu gestaltenden Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren. Ist diese Weite vernünftig?
Wenn man schon für Strafen ist, dann ja. Es gibt an denkbaren Ausführungen einer Tat so verschiedene Varianten, daß man immer relativ große Strafrahmen haben sollte. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, zu fein austarierten Strafen zu kommen. Das Problem ist: Wenn man den Strafrahmen nach oben erweitert, werden auf die Dauer auch die Durchschnittsstrafen höher. Ein Delikt mittlerer Güte bekommt dann auf die Dauer einen höhere Strafe. Interview: Julia Albrecht
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