: Überschäumend schwäbisch
Rezzo Schlauch will am Sonntag Oberbürgermeister von Stuttgart werden. Seine Gegner sind schwach, seine Freunde zahlreich, die Chancen stehen gut ■ Von Philipp Maußhardt
Die Augen sind gerötet, die Nase läuft. Rezzo Schlauch geht auf dem Zahnfleisch. Wenige Tage, bevor die Stuttgarter ihren neuen Chef im Rathaus wählen, ist der 118-Kilo-Mann am Ende. Er kann nicht mehr. „Ich habe schon viele Wahlkämpfe erlebt“, sagt er, „aber so etwas noch nie.“
In den vergangenen 20 Tagen hat Schlauch 112 Termine abgehakt – für einen Genußmenschen wie ihn ein entsetzlicher Entzug von Lebensqualität: Wenig Schlaf, hastiges Essen, und seine Lebensgefährtin sieht er auch kaum noch. Doch am Sonntag ist alles vorbei, und der Einsatz könnte sich gelohnt haben: Weil seine Gegner so blaß sind, leuchtet Rezzo um so grüner. Zum erstenmal könnte das Rathaus einer deutschen Großstadt von einem Grünen erobert werden.
Die Gegner sind blaß, Rezzo leuchtet grün
Schon zu Beginn des Wahlkampfs lag der wortgewaltige und leutselige Rechtsanwalt Schlauch in einer Infratest-Umfrage nur zwei Prozent hinter dem Kandidaten der CDU. Der heißt Wolfgang Schuster, und obwohl er schon seit Jahren Kulturbürgermeister von Stuttgart ist, kannte ihn vor seiner Bewerbung kaum jemand. Schuster war Manfred Rommels persönlicher Referent, und er war auch schon mal Bürgermeister einer schwäbischen Kleinstadt. Man kann nichts Negatives über ihn sagen. Das ist aber auch schon alles. Rommel selbst pries ihn mit den Worten zur Wahl an: „Den könnet ihr scho wähla, den kenn i“ – was soviel heißt wie: langweilig, aber anständig.
Wenn Schlauch und Schuster auf dem Podium nebeneinander stehen, der eine überschäumend, der andere eingeschüchtert, haben schon viele den kommenden Rathauschef ausgemacht: „Wenn der Schlauch in der CDU wäre“, meinte mancher Viertelesschlotzer, „bekäme er gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit.“ Schuster erinnert dagegen mehr an einen Konfirmanden als an einen künftigen Oberbürgermeister im Wahlkampf. Er habe die Ausstrahlung eines „Aktendeckels“, stand in der Zeitung über ihn. Auch der SPD-Bewerber Rainer Brechtken weiß zwar viel, aber wer weiß das schon!? Auch er war vor der Wahl als Staatssekretär nie aufgefallen, und darum plakatierte Schlauch zu Beginn des Wahlkampfes frech: „Niemand kennt den Roten. Niemand kennt den Schwarzen. Alle kennen Rezzo.“
Das saß, und in ihrer Angst vor einem grünen Sieg in Stuttgart mußte die CDU sogar den Kanzler aus Bonn um Hilfe rufen. Der kam in der vergangenen Woche und verwechselte in seiner Rede dann auch noch den Vornamen von Schuster, sprach von Manfred Schuster – und alle lachten.
Manfred, so hieß der bisherige Stuttgarter Oberbürgermeister. Manfred Rommel, Sohn des Feldmarschalls Erwin Rommel, war 22 Jahre lang Häuptling in Stuttgart. Jetzt muß er aus Altersgründen aufhören. Weil er so schön dichten konnte („Ach, armes Stuttgart, keiner kennt's / Zum Glück hilft uns da Daimler-Benz“) und jedesmal beim Faßanstich auf dem Cannstatter Wasen danebenschlug, liebten ihn die Stuttgarter über alles.
Lieber im Stuttgarter Rathaus als im Bundestag
Auf dem Rathaus ist man dagegen gar nicht gut auf ihn zu sprechen. „Er hat alles schleifen lassen“, sagt ein Insider hinter vorgehaltener Hand, „die Stadtverwaltung ist in einem jämmerlichen Zustand.“ Der eigentliche Regent von Stuttgart war ohnehin der CDU-Hardliner Gerhard Meyer-Vorfelder. Er bestimmte als Kreisvorsitzender auch über die Personalpolitik der CDU in der Stadt, und wer in der CDU-Hochburg Stuttgart etwas werden wollte, brauchte immer erst seinen warmen Händedruck. Das Zusammenspiel von Charmeur Rommel und Chasseur Vorfelder klappte bis zum Schluß, bis es nicht mehr klappte zum Schluß. Denn ausgerechnet bei der Nachfolge Rommels ist die CDU mit dem farblosen Schuster nun ins Straucheln geraten.
Rezzo hingegen kommt, spricht und hinterließ nie den Eindruck, für die Grünen als reiner Zählkandidat angetreten zu sein. Das Wahlprogramm des 49jährigen ist das umfangreichste, und als einziger OB-Anwärter setzt Schlauch dem bereits ausgehandelten Milliardenprojekt „Stuttgart 21“ ein Verhinderungskonzept entgegen. Die von einem permanenten Minderwertigkeitskomplex gebeutelten Schwaben wollen Stuttgart neu erfinden: Dazu soll der Kopfbahnhof in die Erde zu einem Durchgangsbahnhof vergraben und das riesige Gleisareal mit Wohnungen und Büros bebaut werden.
Die Verhandlungen zwischen Stadt, Land und Bund sind abgeschlossen, und überall auf den Rathausfluren stehen schnuckelige Modelle aus Pappmaché und Sperrholz. „Dann kommen die Menschen schneller nach Stuttgart“, wirbt CDU-Kandidat Schuster, und Rezzo kontert: „... und sind auch schneller wieder weg.“ Statt des Milliardenprojekts will Schlauch lieber die Öffnungszeiten für Kneipen verlängern, die Autos aus der Innenstadt verbannen und mehr Kinderspielplätze bauen.
Im Wahlkampf drehte sich fast alles um die Zukunftsperspektiven der durch das größer gewordene Deutschland so an den Rand gedrängten Landeshauptstadt. Ein grüner Rathauschef, so meinen nicht wenige, könnte die Aufmerksamkeit wieder stärker auf Stuttgart lenken, das sich mit seinem Image als „Daimler-Stadt“ nicht zufrieden geben will. Es hat die Einwohner nämlich mächtig beleidigt, als die Daimler-Benz-Tochter debis vor kurzem mitteilte, Stuttgart sei für viele Manager einfach nicht attraktiv genug.
Und Rezzo Schlauch reizt das Wuseln, Werkeln und Wursteln in einem Rathaus mehr als die Politik in Bonn. Im Bundestag kann er neben Joschka Fischer kaum Punkte machen, in Stuttgart aber wäre er die Nummer eins. So selbstbewußt zieht er denn auch von Termin zu Termin, pumpt sich voll mit Aspirin, damit er auch noch spätabends im eigens für ihn aufgebauten „Kulturzelt“ auf dem Wasen zum Rhythmus der Fantastischen Vier über die Tanzfläche rappen kann. Das gefällt den Zwanzigjährigen, so wie es den Achtzigjährigen eines Altenheims gefallen hat, wo Schlauch am selben Nachmittag versprochen hat, die Innenstadt sicherer zu machen.
Der grüne Frosch fühlt sich wohl im schwarzen Teich
Keiner der Kandidaten hat so viele Termine geschrubbt wie er. Was die CDU dabei in ihrer Stuttgarter Hochburg besonders nervös machte: Schlauch kam gerade bei ihren klassischen Wählern gut an. Der grüne Frosch fühlt sich sichtlich wohl im schwarzen Teich. Der Einladung zu einer Diskussion im Haus der schlagenden Studentenverbindung „Germania“ folgte er, „auch wenn die mich nicht wählen“ – während der CDU-Kandidat kniff.
Dabei hat der Grüne gerade mal ein Viertel der Summe zur Verfügung, die CDU und SPD in den Wahlkampf buttern (jeweils etwa 400.000 Mark). Einen Großteil davon spendeten ihm Stuttgarter Jungunternehmer bei einem feudalen Mittagessen im Edelrestaurant von Vincent Klink. Der Starkoch macht aus seiner Sympathie für Rezzo Schlauch kein Hehl: „Da wäre in Stuttgart endlich wieder was los, da würde man hierher schauen.“ Schauen würde man auch auf die neue „Frau Oberbürgermeisterin“, die Albanerin Eva Ndoja, Schlauchs Lebensgefährtin. Sie war, bis sie nach Deutschland kam, in ihrer Heimat eine bekannte Schauspielerin und arbeitet heute als Dolmetscherin in Asylverfahren.
Sofern sie Bürger der Europäischen Union sind, haben Ausländer bei dieser Oberbürgermeisterwahl zum erstenmal eine Stimme. Immerhin 25 Prozent aller Stuttgarter haben einen ausländischen Paß, unter anderem deshalb, weil die Stuttgarter, die es sich leisten können, ins grüne Umland abwandern. Schlauchs Wahlplakate sind mehrsprachig. Und auch wenn nur „wählen gehen“ draufsteht, wird das manche Griechin und manchen Italiener freuen.
Eins, zwei, drei ..., die Grünen in Baden Württemberg haben zu zählen begonnen. Erst eroberten sie das Rathaus im Dörflein Uhldingen am Bodensee, dann im Städtlein Bad Herrenalb im Schwarzwald und zuletzt in der veritablen Stadt Konstanz. Jetzt wollen sie Stuttgart. Der kommunalpolitische Siegeszug der südwestdeutschen Grünen hat übrigens mit dem basisdemokratischen Wahlrecht zu tun: Alle Landräte und Bürgermeister werden in echten Volkswahlen gekürt, die jedem Bewerber, sofern er oder sie unionierte/r EuropäerIn ist, offenstehen. In Stuttgart haben sich diesmal 36 Männer und zwei Frauen auf den etwa einen Meter langen Wahlzettel schreiben lassen.
Am Sonntag wird noch nicht mit einer Entscheidung gerechnet, denn keiner der 38 Bewerber wird die dafür nötigen 50 Prozent aller Stimmen erhalten. Dann gewinnt, wer 14 Tage später im zweiten Wahlgang vorne liegt. Daß der SPD-Kandidat zugunsten von Schlauch verzichten könnte, ist so gut wie ausgeschlossen. So könnten sich am Ende dann doch Grüne und SPD die Stimmen stehlen, und der brave Schuster lachte als Dritter. Rezzo Schlauch hat trotzdem schon mal ein Lokal für die Siegesfeier angemietet.
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