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„Neudeutsche Jubeljuden“

■ Jüdische Kulturtage in Oldenburg

„Wir wollen nicht mehr als Exoten und Opfer wahrgenommen werden“, forderte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Oldenburg, Sara-Ruth Schumann. Jüdische Kultur und jüdisches Leben im Gegenwarts-Deutschland stehen im Mittelpunkt der ersten „Jüdischen Kulturtage“, die bis zum 3. November von Stadt, Universität, Jüdischer Gemeinde und Christlich-Jüdischer Gesellschaft in Oldenburg veranstaltet werden.

„An der Schwelle zum Neuen – im Schatten der Vergangenheit“ wurde als Leitthema gewählt. Im Reigen vieler hoffnungsvoller Eröffnungsansprachen über „Normalität und Miteinander“ wurde die Warnung des Kunstprofessors Detlef Hoffmann vor dem „Bleigewicht des Verbrechens“ fast überhört. Nach der ersten Woche eines breiten und anspruchsvollen Veranstaltungsangebots zeichnet sich ab, daß vor allem nichtjüdische Befangenheit das Überschreiten der Schwelle zum Neuen blockiert.

Von den neun in Deutschland lebenden Künstlern, sechs Frauen und drei Männer, die in zwei Ausstellungen zu den Kulturtagen „Jüdische Kunst“ repräsentieren, wurde nur Marion Kahnemann hier geboren. Die meisten stammen wie der Maler Michail Schnitman aus der ehemaligen Sowjetunion oder aus Israel.

Schwierig scheint es, den von den Veranstaltern erwünschten „christlich-jüdischen Dialog“ zu beleben. Der Besucherandrang zu den prominent besetzten Vorträgen und Podiumsdiskussionen ist zwar groß. Aber die mehrfache Aufforderung zur Diskussion mit dem Kölner Publizisten Günther B. Ginzel, der als Vertreter der „ersten Nach-Auschwitz-Generation“ die „Anormalität als Normalität“ im Zusammenleben von Deutschen und Juden bezeichnete, fand keine Resonanz. „Wenn die Deutschen mit einem Problem nicht klar kommen, laden sie einen Juden als Referenten ein“, meinte Ginzel und sparte nicht mit Seitenhieben gegen „neudeutsche Jubeljuden“.

Munter diskutiert wurde dagegen zwei Tage später bei einem literarischen Kolloquium. Allerdings auf dem Podium, wo die Schriftstellerinnen Salomea Genin und Gila Lustiger sich mit dem sprachgewaltigen österreichischen Dichter Robert Schindel darüber einig wurden, daß es „kein Gen für typisch jüdische Schriftsteller“ gebe. „Juden lieben, nur weil sie Juden sind, ist fast so schlimm, wie Juden hassen“, beklagte Salomea Genin, die 1939 mit ihrer Mutter nach Australien emigrierte und als überzeugte Kommunistin 1963 nach Ost-Berlin zurückkehrte. „Fangt nicht wieder an, die Deutschen und die Juden auseinanderzudividieren“, platzte ein nicht beachteter Zwischenruf in das Gespräch der Literaten. Er kam von der Vorsitzenden der gastgebenden Jüdischen Gemeinde.

Karin Güthlein, dpa

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