Schlampen en détail

Die Freiheit der Kunst ist lächerlich: Sigmar Polkes großformatige Kommentare in Schwerin  ■ Von Harald Fricke

Was man über Polke wissen muß, paßt auf ein Blatt Papier. 19 Einträge hat die bescheidene Künstlervita, die im Staatlichen Museum Schwerin aushängt. Geburt, Flucht, Lehre, Studium, Preise, Professuren. Mehr nebenbei gewann Sigmar Polke 1986 den Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig, seit 1991 unterrichtet der inzwischen 55jährige Maler an der Hochschule für Bildende Kunst Hamburg. Eitelkeit sieht anders aus: Jörg Immendorff braucht in Katalogen ein ganzes Kapitel, um seine Lebensgeschichte zu erzählen.

Polke dagegen verfährt pragmatisch. Die Biographie endet 1994 mit dem Kunstpreis der Nord/LB, für den die „Bank des Nordens“ ihm nun eine Übersichtsausstellung der letzten zwanzig Jahre gewidmet hat. Da gibt sich selbst der mürrische Maler des wirtschaftskritischen „Kapitalistischen Realismus“ durchaus kooperativ. Obwohl er den Rummel um seine Person haßt, war Polke zur Eröffnung nach Schwerin gereist und hatte gleich noch einige neue Arbeiten mitgebracht. Es sind schwarzweiße Rasterbilder, die nach Zeitungsvorlagen bis zur Unkenntlichkeit hochkopiert wurden. Ab und zu finden sich fette Kleckse, die durch Unsauberkeiten in der Fotoreproduktion entstehen. Statt aber Siebdrucke in der Tradition von Roy Lichtenstein zu benutzen, wurde das op-artige Gitter dick mit Farbe nachgemalt. Angespornt vom Kult um Fakten, Fakten, Fakten findet Polke seine Motive zwischen den kleinen Schlampereien, im Detail – Stilleben aus dem Genre der Kommunikation.

Daß die frischen „Druckfehler“ von 1996 bei der öffentlichen Präsentation trotzdem schon als Leihgaben einiger privater Sammler aufgeführt werden, sagt auch etwas über den Markt aus, auf dem der Maler neben Gerhard Richter zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt. Wenn Polke malt, dann auf Anfrage – oder aus Leidenschaft. Für diese Gemütsruhe in Zeiten der Rezession kann er sich bei Art-Consulting-Spezialisten wie Helge Achenbach bedanken, der seine Bilder für Millionenbeträge an Investoren, Banken oder Hotels vermittelt. Und beim Kölner Michael Werner, der den jungen Polke in seine Galerie aufnahm, als er noch mit dem Kugelschreiber allerhand unanständiges Zeug auf Lack malte.

Die Ambivalenz gehört jedoch zum Spiel der „modernen Kunst“, von der selbst Minimalisten wie Lawrence Weiner genüßlich behaupten konnten: „Ein Kunstwerk verstehen, heißt es besitzen.“ Vielleicht liegt in diesem Ausleseverfahren aber auch einer der Gründe, warum Sigmar Polke gern mißverstanden wird und vom niederländischen Prinz Bernhard zur Verleihung des Erasmus-Preises als „Maler des Übersinnlichen“ hochgelobt wurde. Dabei sind seine Arbeiten etwa so esoterisch wie die Schlager von Helge Schneider, und Polke selbst sieht sich vermutlich flämischen Genremalern eher geistesverwandt als etwa einem Kandinsky, was der niederländische Monarch wiederum in seiner Begeisterung für zeitgenössische Kunst nur nicht wahrhaben mochte. Tatsächlich liest sich Polkes Werk weitgehend wie eine Kritik am Durchmarsch der Moderne, Pop-, Minimal- und Concept-art inklusive.

Bereits 1966 ist die Ablehnung in einem Arrangement aus Vitrinen, allerlei Material und seltsamen Schaubildern formuliert. Mit einem Seitenhieb auf Beuys kommentiert Polke das Ensemble auf einer filzüberzogenen Tafel: „Ich stand vor der Leinwand und wollte einen Blumenstrauss malen. Da erhielt ich von höheren Wesen den Befehl: Keinen Blumenstrauss! Flamingos malen! Erst wollte ich weiter malen, doch dann wusste ich, dass sie es ernst meinten.“ Konsequent entstehen ein paar plüschige Flamingo-Zeichnungen, später befehlen die höheren Wesen auch, Palmen und Reiher oder pelzbelegte Fingerspitzen zu malen. Der Höhe des ästhetischen Diskurses begegnet Polke mit fröhlichem Stumpfsinn.

Zwei Jahre später entsteht das Bild „Carl Andre in Delft“ als ironische Replik auf Andres karge Metallplatten. Bei Polke löst sich der zeitgemäße Minimalismus ausgerechnet in Kitsch auf, die Geometrie des rationalen Denkens wird durch dekorative Kachelmotive aus holländischen Küchen ersetzt. In diesem Rückgriff auf Volkskunst liegt eine doppelte Emanzipation vom Zwang zur Abstraktion: Zum einen relativiert Polke den Anspruch auf Reinheit von moderner Kunst, indem er ihr formale Ähnlichkeiten mit traditionellem Handwerk nachweist; zugleich eignet er sich ihre vorgebliche Autonomie als zitierbares Material an, das dann schrittweise hin zum Hybriden umgemodelt wird. Ein bißchen erinnert dies Vorgehen an Progress-Saugbürsten und Dekonstruktion. In Schwerin nennt man es „Transit“ und meint damit die diversen Übergänge von Themen, Medien, Mutationen. Daß den KuratorInnen dabei die Metapher früherer Beziehungen zwischen BRD und DDR entfallen ist, darf als Schadensbegrenzung nach der Wiedervereinigung verbucht werden.

Vor allem aber ist „Carl Andre in Delft“ ähnlich wie Duchamps „Urinoir“ ein Kommentar auf den Rahmen, in dem Kunst stattfindet. Nur geht Polke weniger idealistisch als sein Vorgänger zur Sache: Wo Duchamp stets an den Grenzen zwischen Werk und Leben herumexperimentierte, fällt bei Polke jede Kritik auf Geschichte zurück.

Auch im Schweriner Museum sind die fünf hohen Gründerzeitsäle mit etwa vier Dutzend Bildern engmaschig in ein Netz aus Historismus und billigem Alltagskram gesponnen. Staunend läßt man sich von drei überdimensionalen Trip- Bildern einlullen, auf denen weitflächig Farbe ausgeschüttet wurde. Die Bilder „Apparizione I, II, III“ (1992) haben bei allem Schillern der 4 x 3 Meter mächtigen Oberfläche eine für Polke übliche Widerborstigkeit. Er hat das Ganze auf Textilstoffe gemalt, deren Grundmuster man von Parkettfußböden kennt. Was auf dem Boden liegend im Atelier entstand, hängt jetzt in Dreier-Formation an der Wand. Diesmal richtet sich der Schabernack mit dem Kult der Produktion an die Adresse Jackson Pollocks: Das Triptychon als gestischer Slapstick. Und auch Erscheinung ist dann nur ein anderes Wort für die vielen Tricks, mit denen in der Malerei gearbeitet wird. Gleichzeitig kennt sich Polke natürlich sehr gut mit der Wirkung von Farben, Flächen und Formaten aus. So kann man das Motiv auf „Frauen“ (1988) kaum erkennen. Aus der Nähe ist nur ein verwirrendes Raster mit roten Punkten und weißen Flecken zu sehen, das erst zum Gruppenbild mit entsprechend weiblichen Akten zusammenwächst, wenn man auf 25 Meter Abstand geht. Ganz läßt sich die Auflösung der Auflösung jedoch nicht auflösen, es bleibt eine verschnörkelte schwarze Graffiti-Linie in der mittleren Schicht übrig, hinter der sich irgendein obskures Wesen verbirgt, eine Unschärfe im Übergang der verschiedenen Ebenen. Dort hat das Bild ein Eigenleben, dessen zufällige Gestalt Polke bei seinen Überlagerungen durchaus mit einkalkuliert. Plötzlich taucht im Patchwork aus Geschirrtüchern von 1994 Dürers „Feldhase“ auf und verliert sich gleich wieder zwischen Folk-Ornamenten oder im Herzchenmuster nebenan.

Aus solchen Brüchen zieht Polke den eigentümlichen Humor seiner Bilder. Indem er den Betrachter ständig an den Abgrund des Dargestellten drängt, ohne aber über ihn zu triumphieren, stärkt er dessen Sinn für Ironie und Distanz. Wo Ad Reinhardt in seiner Karikatur die Frage „What do you represent?“ statt aufs Bild gegen den blöden Bürger richtete, der das alles nicht verstand, darf man bei Polke wieder über die Freiheit der Kunst lachen. Ähnlich funktionieren auch die „Kleider“- Bilder, auf denen Polke zwei voneinander abgesetzte Stoffflächen mit Hemden kombiniert. Die Idee geht auf monochrome Malerei zurück, deren erhabene Strenge nun mit New-Wave-Kopfkissen, textilen Wandbespannungen aus den 70er Jahren oder drolligen Teddy-Laken fürs Kinderzimmer korreliert.

Während die autonome Kunst zwischen Jugendtrash und Spießerdekor ins Lächerliche abkippt, holt sich Polke umgekehrt das Zeitgeschehen über die bloße Aufreihung politisch aufgeladener Klischees herein. Mal ist es eine russische Tarnuniform, dann ein graues Stück Tuch mit aufgedruckten Mercedes-Sternen oder das verdrossene Zitat, das Polke für „Murphy Schnauzer“ (1996) auf ein Muster mit Schäferhunden und Pudeln gemalt hat: „Noch keine Regierung hat das Volk derart hinters Licht geführt“. Ein paar Meter weiter hängt „Aufschwung Ost“ von 1992, und schräg gegenüber wurde das Bild von einem original VEB- Beistelltisch mit der Geschichte von Honeckers Asche übermalt, die statt auf dem Ehrenfriedhof neben Thälmann und Wilhelm Pieck nun bei Frau Margot in der Wohnung lagert. Das kommt vermutlich an in Mecklenburg-Vorpommern und ist als Statement doch ebenso abgenutzt wie die in der Kunst einmal ausgegebene Parole von der Angst vor Rot, Gelb und Blau. Polke allerdings parodiert beides.

Sigmar Polke: „Transit“. Bis 8. 12., Staatliches Museum Schwerin (der Katalog erscheint im Cantz-Verlag, 43 DM)