■ FDP: Widerstand gegen Umfallen beim Solidaritätsbeitrag: Westerwelles Scheinerfolge
Als im März drei Landtagswahlen anstanden, ging es für die FDP mal wieder um alles. Die Presse hatte die Liberalen zuvor bereits begraben – die Wähler nicht. Die Partei zog in alle drei Landtage ein, in Baden-Württemberg mit fast zehn Prozent. Die Wahlsiege, die sich der marktradikale Guido Westerwelle gutschrieb, fußten nicht zuletzt auf dem Versprechen, den Solibeitrag für den Osten zu reduzieren. Das war, wie man nun weiß, ein ungedeckter Scheck.
Nun rumort es in der FDP. Die Parteispitze aus Schlewig-Holstein will den Bruch des Wahlversprechens vom März nicht hinnehmen. Aber das ist nicht mehr als die handelsübliche Rhetorik: moralisches Beiwerk, das signalisiert, daß es in der FDP noch immer ein paar Aufrichtige gibt. Der Widerstand gegen die Koalitionseinigung wird als Sturm im Wasserglas enden. Der Koalitionskompromiß ist nicht reversibel – oder nur um den Preis des Endes der Koalition.
Dies offenbart ein strategisches Dilemma der Westerwelle-FDP. Sie ist von CDU/CSU erpreßbar, weil sie ihre klassische Rolle als Partei der Mitte verliert, die mit Rechts und Links koalieren kann. Ihr Bürgerrechtsflügel ist, seit Leutheusser-Schnarrenbergers Abtritt, machtpolitisch kaum mehr existent, Westerwelles marktradikaler Kurs zum einzigen Partei-Label geworden. Steuern runter, sparen beim Sozialen: Mit diesem Programm sind die Liberalen zur Avantgarde der Zerstörung des gebändigten rheinischen Kapitalismus geworden.
Partei der Besserverdienenden war die FDP, mehr oder weniger, schon immer. Doch derzeit ist sie nur dies. In den Achtzigern garantierte Genscher die Kontinuität der Ostpolitik. Kinkel hingegen garantiert heute nur gelegentlich Unschicklichkeiten. Auch das Justizressort verwaltet die FDP recht profillos.
Das gebrochene Wahlversprechen vom März ist peinlich. Aber die FDP wird darüber hinwegkommen: Der Wähler ist ein bekanntermaßen vergeßliches Wesen. Wesentlicher ist, daß die Rolle der FDP als Vertreterin jener mittleren Vernünftigkeit angegriffen ist, die Radikales, sei es sozialdemokratische Staatsfixierung oder christdemokratische Ideolgie, zu dämpfen weiß. Genau diese Rolle verliert sie derzeit. Die Liberalen sind um den Preis vollkommenen Einflußverlustes an die Christdemokraten gebunden. Damit sind sie ein bloßes Anhängsel der CDU/CSU. Untergehen wird die FDP deshalb nicht. Das ist schon zu oft, zu schnell, zu routiniert prophezeit worden. Aber ihre Existenzberechtigung wird zusehends einzig und allein die Wahlarithmetik. So wird die FDP zur LDP, Freidemokraten werden zu Leihdemokraten. Stefan Reinecke
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