: Hyper-Autos und die Essenz des Lebens Von Mathias Bröckers
Kraftwerke und Energieversorger in der Krise, Ölkonzerne vor der Pleite, Kohlebergwerke endgültig bankrott, die Autoindustrie sterbend oder im radikalen Umbruch – ist ein solches Szenario vorstellbar? Folgen wir Amory Lovins, dem visionären Direktor des Rocky Mountain Institutes (Colorado), wird es schon in wenigen Jahren so kommen: Der Verbrauch von Energierohstoffen in den Industrieländern wird sich halbieren, Abgasemissionen werden nahezu verschwinden und neue Hyper-Autos die Versorgung mit elektrischer Energie übernehmen. Das Geheimnis dieser an Science fiction gemahnenden Idee sind Brennstoffzelllen, die Wasserstoff in einer flammenlosen chemischen Reaktion „verbrennen“ und in Elektrizität umwandeln. Dieser schon in den sechziger Jahren entwickelte Antrieb konnte bisher mit den üblichen Verbrennungsmotoren nicht konkurrieren, doch dies hat sich geändert. Neue „Polymer“-Brennstoffzellen stehen nach Angaben von Lovin an der Schwelle zur Massenproduktion. Diese Brennstoffzellen laufen Zehntausende von Stunden ohne jede Wartung und nutzen Energie um ein Vielfaches effizienter als Verbrennungsmotoren. Ein derart angetriebenes Hyper-Auto würde nach Lovins' Erwartung nicht nur mit 1,2 Liter Gas-Wasser-Gemisch auf hundert Kilometer auskommen, sondern auch die flächendeckende dezentrale Energieversorgung übernehmen. 95 Prozent der Zeit stehen Autos auf dem Parkplatz oder in der Garage und könnten dort als geräusch- und schadstofflose Kleinkraftwerke arbeiten. Wenn alle 150 Millionen Autos in Nordamerika mit Brennstoffzellen fahren und ihren „Saft“ ins Netz einspeisen würden, so hat Lovins ausgerechnet, könnten sie sechsmal mehr Elektrizität produzieren wie zur Zeit (New Scientist, No. 2051, http://www.newscientist .com). Und das alles ohne einen Tropfen Öl, einen Brocken Kohle und Holz oder gar Atomstrom? Ja, außer Wasser brauchen die Brennstoffzellen nur Methangas, was alle Erd- und Biogaslieferanten vom oben geschilderten Pleite-Szenario ausnimmt. Sibirien kann aufatmen, und für die Produzenten von nachwachsender Biomasse (Hanf!) ergeben sich ungeahnte Perspektiven. Noch sind die Brennstoffzellen teuer, Produktionskosten pro Kilowatt Leistung zur Zeit etwa 3.000 Mark, doch eine Massenproduktion, so haben Analysen der Autoindustrie berechnet, könnte die Kosten auf wenige hundert Mark senken. Als Strom- und Wärmekraftwerk für den Haushalt aber, versorgt über die städtische Gasleitung, würde sich die Sache laut New Scientist schon jetzt rechnen: „Wir könnten uns für weniger als die Hälfte des jetzigen Preises mit Strom versorgen und hätten dank der Abwärme Warmwasser und Heizung gratis.“
Mit diesem Technologiesprung wird das Dampfmaschinenzeitalter zu Ende gehen und mit ihm die zentralistischen Dinosaurier, die es mit Energie speisten. Daß neben Wasser, aus dem der Mensch zu 90 Prozent besteht, ausgerechnet Methan, das Biogas seines Magenwinds, die Energierevolution von morgen antreiben wird, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Die verzweifelt gesuchte Energiewende – sie ist sozusagen nur einen Furz weit entfernt. Die Taoisten hatten eben doch recht: „The essence of life is composting your own shit!“
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