: Atommüllager Ahaus wuchert
Nordrhein-Westfalens Umweltverbände werfen der rot-grünen Koalition in Düsseldorf vor, vor der Atomindustrie zu kapitulieren ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Auf die rot-grüne Koalition in Düsseldorf ist Hartmut Liebermann nicht gut zu sprechen. Auch nach mehr als einjähriger bündnisgrüner Regierungsbeteiligung vermag der Sprecher der Anti-Atom-Bürgerinitiative aus Ahaus von einem Atomausstiegskurs „überhaupt nichts erkennen“. Im Gegenteil, so fährt der Gymnasiallehrer fort: „Die Regierung in Düsseldorf hat alles getan, um das hier schnell durchzuziehen.“
Noch drastischer fällt das Urteil des BUND-Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen aus: „Rot- Grün kapituliert vor Interessen der Atomindustrie“, titelten die Umweltschützer vergangene Woche. Versagt habe die Regierung nicht nur beim atomaren Zwischenlager in Ahaus, sondern auch beim Ringen um den Ausbau der Urananreicherungsanlage im nur wenige Kilometer entfernten Gronau. An die Düsseldorfer Regierung richten BUND und der Landesverband des Naturschutzbundes (Nabu) jetzt gemeinsam die Forderung, den Antrag auf Kapazitätserweiterung der Urananreicherungsanlage „abzulehnen“ und dem Betrieb insgesamt die Produktionsgenehmigung „zu entziehen“. Begründung: Das im Grundgesetz garantierte Recht der Bevölkerung auf körperliche Unversehrtheit werde durch die Anlage aufs höchste gefährdet.
Mit dieser Forderung wollen die Umweltverbände, so BUND-Umweltreferent Jörn Lutat, „ein neue Richtung“ im Anti-Atom-Kampf einschlagen. Die Zeit sei reif dafür, „endlich von der Schweißnahtdiskussion wegzukommen“ und die „Unberrschbarkeit der Atomkraft wieder in den Mittelpunkt der Argumentation zu rücken“. Der Düsseldorfer Regierung wirft Lutat vor, durch ihr Schweigen zu den atomaren Gefahren mit dazu beigetragen zu haben, „daß der Ausstieg zu einem Randthema geworden ist“. Vor allem von der heute tagenden bündnisgrünen Landtagsfraktion erwartet Lutat ein eindeutiges Bekenntnis zum antiatomaren Kurs.
Auf dem Koalitionsvertragspapier ist die Sache ganz klar: „Die Landesregierung fordert den bundesweiten Ausstieg aus der Atomernergie“, heißt es da. Und NRW selbst ist längst atomstromfrei. Nach dem Scheitern des schnellen Brüters in Kalkar und des Hochtemperaturreaktors in Hamm ging im vergangenen Jahr auch der altersschwache Reaktor in Würgassen vom Netz – gestorben an den Sicherheitsauflagen aus Düsseldorf.
Völlig ungehindert entwickelt sich dagegen die Anlage in Gronau. Schon im Dezember 1994 hatte die Betreibergesellschaft Urenco den Antrag gestellt, die bisher genehmigte Produktionskapazität von 1.000 Tonnen pro Jahr auf 1.800 Tonnen zu erhöhen. Dieses Verfahren läuft. Zuständig ist Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. „Selbstverständlich passen die Kapazitätserweiterung in Gronau und der Atomausstieg nicht zusammen“, gesteht Katrin Grüber, in der bündnisgrünen Landtagsfraktion für die Atomfragen zuständig. „Aber einem politischen Willen sind leider immer wieder auch Grenzen gesetzt, zum Beispiel durch bestehende Bundesgesetze“, fügt sie hinzu.
Auch bei den Ausbauplänen für das Zwischenlager in Ahaus seien der Landespolitik durch die Vorgaben der Bundesregierung weitgehend die Hände gebunden. In der 200 Meter langen, 38 Meter breiten und 20 Meter hohen Halle in Ahaus lagern zur Zeit in 305 Castor-Behältern die 600.000 hochgradig verstrahlten Graphitkugeln aus dem stillgelegten THTR in Hamm. Ein Achtel der Halle ist damit belegt. Für das Zwischenlager gibt es eine noch nicht rechtskräftige Genehmigung zur Lagerung von 1.500 Tonnen abgebrannter Brennelemente. Dagegen laufen mehrere Klagen. Ende Oktober wird erneut vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster verhandelt. Doch diese Kapazitätszusage reicht der Betreibergesellschaft – Eigentümer sind die Stromkonzerne RWE, VEW, Bayernwerk, PreussenElektra und Steag – inzwischen nicht mehr. Sie will künftig 4.200 Tonnen des hochradioaktiven Atommülls in Ahaus lagern. Das entspricht der Menge an radioaktiven Abfällen, die in acht Jahren in allen bundesdeutschen Atomreaktoren anfallen. Beantragt ist die Lagerung bis zum Jahr 2036. Über 2.000 Bürgereinwendungen wurden dagegen jüngst im Erörterungstermin vorgebracht. Zuständig für die Genehmigung ist das Bundesamt für Strahlenschutz, das schon einmal für Gorleben eine entsprechende Genehmigung erteilt hat. Die Klagen dagegen wurden zuletzt vom Oberverwaltungsgericht in Lüneburg abgewiesen. Die atomrechtliche Aufsicht über die Zwischenlager liegt zwar bei den jeweiligen Landesregierungen. Aber über die Einlagerung der Brennelemente entscheidet allein das Bundesamt – und damit die Bundesregierung. Daß SPD und Bündnisgrüne sich im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen haben, Ahaus „ausschließlich für Abfälle aus NRW“ nutzen zu wollen, ist juristisch ohne Belang. Zusätzlich zur Einlagerung der abgebrannten Brennelemente haben die Betreiber die Aufbewahrung von mittel- und schwachradioaktiven Abfällen in Ahaus beantragt. Von den hierfür zuständigen nordrhein-westfälischen Behörden (Arbeitsministerium, Regierungspräsident) wurde die Genehmigung inzwischen erteilt. BI-Sprecher Liebermann wertet diesen Bescheid als weiteren Beleg dafür, daß von „einem Atomausstiegskurs in Düsseldorf überhaupt nicht die Rede sein kann“. Es habe nicht einmal die im Koalitionsvertrag versprochene Öffentlichkeitsbeteiligung gegeben. Die bündnisgrüne Atomexpertin Grüber spricht in diesem Zusammenhang von „einer bedauerlichen Entwicklung, die wir nicht verhindern konnten“. All diese Ausbaupläne wurden von der in Ahaus regierenden CDU in der Vergangenheit aktiv unterstützt – gegen Bares für die 34.000 Einwohner zählende Stadt. Ende der 70er Jahre flossen zunächst 49 Millionen Mark zusätzlich ins Stadtsäckel. Noch einmal 160 Millionen eiste Stadtdirektor Robert Jünemann (CDU) im letzten Jahr bei den Betreibern los. Das Geld fließt, wenn die Halle für die schwach- und mittelaktiven Abfälle kommt. Doch seit dem Sommer stellt sich auch Jünemann quer. Daß Bundesumweltministerin Merkel jetzt auch unbenutzte Brennelemente für den schnellen Brüter von Hanau nach Ahaus schaffen lassen will, geht allen politischen Fraktionen in Ahaus zur Freude der rot-grünen Koalition in Düsseldorf gegen den Strich.
Der Hanauer Plutoniumbunker, so schrieben die Ratsfraktionen von CDU und SPD gemeinsam an die Bonner Umweltministerin, sei zur Lagerung des Plutoniums „bestens geeignet“. Jetzt aus rein finanziellen Gründen einen neuen Standort zu suchen, sei „rücksichtslos“, zumal Ahaus für das plutoniumhaltige Material „weder konstruiert noch gebaut und auch nicht genehmigt wurde“.
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