Lob des kleinen Alzheimers Von Carola Rönneburg

Über die Gebrechen von Mitmenschen soll man sich nicht lustig machen. Vor allem nicht schriftlich oder gar mit einer Zeichnung. Dann bekommt man einen bösen Leserbrief, so wie Zeichner TOM, dem unlängst vorgeworfen wurde, einen Witz auf Kosten von Alzheimerpatienten gemacht zu haben. Oder hieß es Alzheimeropfer? Ich weiß es nicht mehr.

Dabei kann die Vergeßlichkeit, die diese Krankheit neben den anderen, viel unangenehmeren Wahrnehmungsstörungen mit sich bringt, eine feine Sache sein. Der kleine Alzheimer kann sogar einen Abend retten, und davon möchte ich berichten.

Vor kurzem saß ich nämlich in einer angeregt schnatternden Runde im Berliner Café „Tati“. Man teilte Schinkenbrote, Bier und Wein flossen in Strömen, die ersten Autoschlüssel wurden freiwillig abgegeben: Die Stimmung war gut, besonders, seit wir herausgefunden hatten, daß der große zottelige Hirtenhund hinter uns in Wirklichkeit eine dieser modernen Flokati-Jacken war und folglich auch kaum schwer geatmet haben konnte, wie eine meiner Tischdamen beobachtet haben wollte.

Während diese junge Frau, im folgenden Fräulein A. genannt, nun erleichtert ihre Füße vom Stuhl nahm, betrat Herr Finn das Lokal. Herr Finn, ein freundlicher Berufsboxer aus dem Westfälischen, hatte gerade sein abendliches Training absolviert und war – zu meiner Überaschung – unverletzt. Auch die Narbe an der Stirn, die er sich einmal bei hundert Liegestützen ohne Hände auf seinem Wohnzimmerteppich zugezogen hatte, war kaum noch zu sehen. Ich machte eine entsprechende Bemerkung und stellte Herr Finn Fräulein A. vor. Eilig schob der Boxer seine makellose Nase zwischen uns. „Kein Kratzer“, sagte er stolz, „obwohl sie ja ein gutes Ziel abgibt.“ Auch Fräulein A. bewunderte nun schüchtern die Boxernase. „Obwohl“, sagte sie dann, „die Nase ist schon ziemlich breit. So, als hätte sie schon einmal schwer was abgekriegt, die Arme.“ Das stimmt : Herr Finns Nase geht ein wenig in die Breite, vor allem im oberen Bereich. Wie die Nase des Mannes, so sein Johannes?, schoß mir durch den Kopf, aber laut sagte ich das natürlich nicht. Herr Finn hatte sich inzwischen zu uns gesetzt und lächelte Fräulein A. charmant zu. „Ich paß schon auf“, beruhigte er sie. Fräulein A. strahlte zurück, blieb aber beim Thema. „Warte mal“, überlegte sie, „da gibt es doch so einen Spruch mit Nasen...“ Herr Finn sah mich entsetzt an. Ich verschluckte mich und hustete ganz fürchterlich und lange, damit etwas anderes zur Sprache kommen konnte. Fräulein A. war jedoch nicht aufzuhalten: „Genau. Wie die Nase des Mannes... Ich komm' nicht drauf...“

Herr Finn kniff mich. Ich kniff Herrn Finn, und gemeinsam gelang es uns, nicht völlig außer Kontrolle zu geraten. Ach, jammerte Fräulein A. nun ganz reizend, sie sei immer so vergeßlich, wie bei dieser Krankheit, und wie die eigentlich noch hieß? Herr Finn fiel vom Stuhl und auf den Hirtenhund. Fräulein A. half ihm auf und quietschte plötzlich begeistert: „Ja! Wie die Nase des Mannes...“ – im Lokal war es plötzlich ganz still geworden – „so sein Name!“ Darauf einigten wir uns gern, und auch darauf, daß das „natürlich großer Quatsch“ sei, wie Fräulein A. fand: „Stell dir vor, du heißt Kurz.“