: Licht aus im AKW Krümmel
OVG Schleswig kappt den Netzanschluß des Atom-Meilers wegen falscher Brennstäbe / Zerknirschung bei den HEW ■ Von Marco Carini
Trauer trägt die HEW. Mit tiefstem „Bedauern“ hat der Hamburger Energiekonzern gestern zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Atommeiler Krümmel nach einem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichtes (OVG) in Schleswig bis auf weiteres vom Netz bleiben muß. „Stillstandskosten in Millionenhöhe“ sehen die HEW jetzt auf sich zukommen. Mindestens. Denn der Gerichtsbeschluß könnte sogar dazu führen, daß im Elbmarsch-Reaktor die Lichter ausgehen.
Das OVG entschied gestern, „die Wiederaufnahme des Betriebs des Kraftwerkes zu untersagen“, bis über einen Antrag der niedersächsischen BUND-Vorsitzenden Renate Backhaus befunden ist. Backhaus hatte beantragt, die sogenannten G-11-Brennelemente nicht in dem AKW einzusetzen, bevor über ihre Anfechtung der 1991 erteilten Erlaubnis für den Einsatz genau dieser Brennstäbe in Krümmel entschieden ist. Das OVG muß über diese Genehmigung neu verhandeln, da das Berliner Bundesverwaltungsgericht im August das Urteil gekippt hatte (taz berichtete).
„Frühestens in zwei Wochen“, so OVG-Richter Manfred Voswinkel gestern zur taz, werde das Gericht darüber entscheiden, ob die umstrittenen Brennelemente in dem AKW eingesetzt werden dürfen. Wird die von Backhaus beantragte „aufschiebende Wirkung“ dann abgelehnt, dürfte der Reaktor Mitte November wieder ans Netz. Wird ihrem Antrag aber stattgegeben, darf der Atommeiler, so Richter Voswinkel eindeutig, „für viele Jahre nicht mit diesen Brennelementen betrieben werden“.
Aber eine Alternative zu den GE-11-Brennstäben haben die HEW kaum: Die früher in Krümmel eingesetzten Stäbe werden nicht mehr produziert. „Wir müßten dann“, räumt HEW-Pressesprecher Kresse zerknirscht ein, „für teures Geld Brennelemente von anderen Unternehmen kaufen oder den Reaktor mit geringerer Leistung fahren“.
Freude über den OVG-Beschluß herrschte gestern im Kieler Energieministerium. Minister Claus Möller (SPD) und sein Staatsrat Wilfried Voigt (Grüne) müssen nun selber keine Entscheidung über das Krümmel-Comeback treffen. Denn der juristische Stab des Ministeriums und Anwälte, die die Grünen beraten, waren zu der Auffassung gelangt, daß ein ministerielles Wiederanfahrverbot erfolgversprechende Schadensersatzklagen der HEW in Millionenhöhe nach sich ziehen würde. Eine Wiederanfahrgenehmigung aus Kiel hätte aber kaum in die politische Landschaft gepaßt, nachdem Ende vergangener Woche bekannt geworden ist, daß ein weiteres Kind aus der Umgebung des Reaktors an Leukämie erkrankt sein soll. Möller hofft nun darauf, daß das OVG „den Mumm hat“, das vorläufige GE-11-Verbot in zwei Wochen zu bestätigen. „Dann werden wir sehen, ob sich an der gerichtlichen Heiligsprechung atomrechtlicher Genehmigungen durch das Berliner Urteil etwas geändert hat“, weiß der Minister.
Eugen Prinz von der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ kommentierte gestern, das Gericht habe „Möller Nachhilfe im Atomrecht erteilt“. Prinz: „Es ist schon peinlich, daß das Ministerium erst reagiert, wenn die Rechtssprechung agiert hat“.
Weiterer Bericht auf Seite 8.
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