■ Nachschlag
: Das Offenbach Theater Berlin mit Kannibalischem im Saalbau Neukölln

Zwei blinde Bettler unter einer Pariser Brücke. Die Bettler sind nicht blind, und die Brücke steht nicht in Paris. Aber der Kampf Ost gegen West um das elendigere Elend ist von heute. Der Streit im Walzertakt dauert, bis ein Sturm die Vagabunden samt ihren gesungenen Münchhausiaden in die Südsee weht.

Der „Carneval der Kannibalen“, die kabarettistische Vereinigung von Jacques Offenbachs Einaktern „Die beiden Blinden“ und „Häuptling Abendwind“, findet im Saal statt. Das Theater ist winzig klein wie Offenbachs erstes, die Bouffes Parisiens. Drei Sänger erlaubte die erste Theaterlizenz dem Operettenmeister aus Köln. In Berlin reicht der Platz für vier und einen Paravent. Tafeln zeigen die Szene an, auch gibt es kein 30-Mann-Orchester, nur die drei Gewitter-Girls. Babett Grawitter, Iljana Göbel und Silke Zimmermann kichern und stürmen an Klavier, Streich-, Blas- und Schlagwerk durch Offenbachs Sahnebaiser.

Dem Bettlerspaß folgt Kannibalisches. Politisches Festmahl bei der Großen Lulu. Nachbarhäuptling Morgenstund ist zu Besuch. Den im Topf fehlenden Festbraten ersetzt ein verirrter Ausländer. Der blöderweise Morgenstunds vermißtem Sohn verdammt ähnlich sah. Arrangeur Walter Thomas Heyn hat Offenbachs musikalische Anspielungen in dessen Geist ersetzt – durch ost-westliches Liedgut der Völkerfeindschaft. Und Regisseur Martin Verges stachelt die Sängerdarsteller erfolgreich zu Blödsinn auf.

Seit drei Jahren treibt das Offenbach Theater sein Wesen. Ohne feste Spielstätte und Ensemble. Gerüstet nur mit dem vergessenen Frühwerk von Jacques Offenbach. Bettina Bartz schärft neue Textfassungen satirisch, Martin Verges inszeniert im Geiste Felsensteins; die SängerInnen sind vom Opernfach. Arndis Asgeirisdottir war schon bei den letztjährigen „Banditen“ mit von der Partie. Sie singt und spielt das blöde Kannibalenmädchen Atala, klettert engelskehlig in Offenbachs Schlagern herum und verbreitet anmutiges Strahlen. Arndis Asgeirisdottir ist Südsee-Gold im Neuköllner Abseits. Das die Sänger nicht verdient haben. Nicht Roland Sult als Häuptling Abendwind. Nicht Klaus Wegener, der als Morgenstund genial- obszön mit seiner Wampe wippt. Und auch nicht Martin Gebhardt als Morgenstunds Filius Arthur, Friseur vom Kurfürstendamm. „Hula, hula, hula, das ist der Papa-Tutu.“ Nikolaus Merck

Offenbach Theater Berlin: „Carneval der Kannibalen“, weitere Vorstellungen am 25. und 26.10., 20 Uhr, Saalbau Neukölln, Karl- Marx-Straße 141