■ OB-Wahlen in Stuttgart mit zwei SPD-Kandidaten?: Weiterwursteln wie bisher
Wohl selten hat die Wahl eines Oberbürgermeisters in Deutschland so sehr für Erregung gesorgt wie zur Zeit in Stuttgart. War es zunächst der als Favorit gehandelte Grüne Rezzo Schlauch, der das geballte Medieninteresse auf sich zog, hat nun nach dem ersten ergebnislosen Wahlgang die SPD die Schlagzeilen gepachtet. Bezeichnenderweise wieder einmal mit einem internen Streit.
Der chancenlose SPD-Kandidat Rainer Brechtken hat für den zweiten entscheidenden Wahlgang am 10. November Konkurrenz aus dem eigenen Lager bekommen. Nun heulen die Sozialdemokraten im Südwesten und sind doch an ihrer erbärmlichen Lage selbst schuld. Denn nach dem jämmerlichen Landtagswahlergebnis vom Frühjahr, als sie gerade noch fünfundzwanzig Prozent der Stimmen erhielten, entschlossen sie sich unter ihrem Parteivorsitzenden Ulrich Maurer zum Weiterwursteln wie bisher. Für die jetzige Oberbürgermeisterwahl fanden sie erst gar keinen und dann mit Brechtken einen allzu braven, farblosen Kandidaten, so gut wie ohne Aussichten auf einen Sieg.
Das nun der SPD-Rechtsaußen Joachim Becker, Oberbürgermeister in Pforzheim und bekannt geworden durch populistische Äußerungen in Asylfragen, seine Kandidatur erklärt hat, erschreckte aber nicht nur die eigene Partei. Die aufgeregten Kommentare aus christdemokratischen Kreisen machen deutlich, daß auch sie um Wählerstimmen fürchten. Wäre es nicht absurd, man könnte die Grünen hinter dem ganzen Wahltheater vermuten. Denn mit der Kandidatur von Joachim Becker (der anscheinend einen Parteiausschluß aus der SPD wohl einkalkuliert hat), sind vor allem Rezzo Schlauchs Chancen gestiegen, nun im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen zu bekommen. Dann, mit dem ersten bündnisgrünen Oberbürgermeister in einer deutschen Großstadt, wäre zumindest eines gesichert: Die öffentliche Erregung hielte über den Wahltag hinaus noch weiter an. Philipp Maußhardt
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