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Müllverbrennung auf dem Prüfstand

Heute treffen sich Umweltverwaltung, Müllentsorger und Umweltschützer, um über gemeinsame Entsorgungspolitik zu beraten. Es wird weniger Abfall produziert als angenommen  ■ Von Marcus Franken

Eine gute Nachricht vorneweg: Berlin produziert weniger Müll, als die Fachleute noch 1994 prophezeit haben. Die schlechte Nachricht: Das liegt nicht an einer fortschrittlichen Abfallpolitik der Umweltverwaltung, sondern am Firmensterben im Osten, am geringen Wirtschaftswachstum und weniger Neuberlinern als gewünscht.

Anstatt mehr Müll zu machen – 2,4 Millionen Tonnen Hauptstadtmüll waren für das Jahr 2005 prognostiziert – produzierten die Berliner 1995 etwa 1,6 Millionen Tonnen Müll, bereits 300.000 Tonnen weniger als noch 1992. Der Müllmangel bringt nun auch die Müllverbrennungsplanungen durcheinander, die Ex-Umweltsenator Hassemer seinem Nachfolger Peter Strieder vererbt hat.

Inzwischen ist es fraglich, ob für die zwei geplanten Anlagen in Karlshorst und Neukölln noch genügend Müll da ist. Aber der neue Umweltchef will die alten Planungen nicht nur reduzieren, sondern stellt deren Grundlagen überhaupt in Frage. Strieder: „Es ist fraglich, ob wir überhaupt neue Verbrennungsanlagen brauchen.“ Genau an der Frage nach der Müllverbrennung ist es bisher gescheitert, eine einvernehmliche „Abfall“- Lösung zwischen Regierung, Opposition, Bezirken und Umweltbewegung herzustellen.

Seit 1993 hat es in Berlin drei groß angelegte, aber erfolglose Versuche gegeben, zu einem gemeinsamen Konzept zu kommen. Zuletzt platzte das sogenannte Konfliktmittlungsverfahren um den Bau einer Müllverbrennungsanlage vom Typ Thermoselect an der Gradestraße in Neukölln. Die Bürgerinitiativen und Umweltverbände verließen die Gespräche, weil, wie sie sagten, es für Hassemer und die Berliner Stadtreinigung schon feststand, die Anlage zu bauen und es in den Gesprächen nur noch um Fassadenbegrünung ging.

Das soll jetzt anders werden. Heute treffen sich im Wissenschaftszentrum Berlin die Vertreter von mindestens 27 Organisationen, die mit Abfall- und Umweltfragen zu tun haben: die zuständigen Senatsverwaltungen, Vertreter der Parteien, Gewerkschaften, private und öffentliche Entsorger, Industrie- und Handwerksvertreter, Umweltverbände und Bürgerinitiativen. Initiator dieses Treffens ist Umweltsenator Peter Strieder, der damit eine Forderung aus der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD umsetzt und gleichzeitig einer entsprechenden Aufforderung des Abgeordnetenhauses nachkommt.

Ziel der Zusammenkunft ist es, ein sogenanntes Mediationsverfahren einzurichten, das der „Entwicklung abfallbezogener Planungen“ dient. Eingeladen hat Hans- Joachim Fietkau, Mitarbeiter des Wissenschaftszentrums Berlin. Ein spannendes Experiment, das bisher aber immer an scheinbar unüberbrückbaren Interessengegensätzen scheiterte. „Wenn Umweltsenator Strieder es ernst meint mit seinem Richtungswechsel in der Abfallpolitik – und das bedeutet vor allem: weg von den Müllverbrennungsplanungen – dann sieht es gar nicht schlecht aus“, meint Michael Blöcher, Vertreter des Umweltverbandes Müllnetz, und fügt hinzu: „Für uns kommt es in erster Linie darauf an, daß die Stadt alle Möglichkeiten ausschöpft, Abfall zu vermeiden und sinnvoll zu verwerten. Dazu gehören dann eine kommunale Verpackungssteuer, Gewerbeabfallberatung, die zügige Einführung der Biotonne und vieles mehr.“

Noch Anfang dieses Jahres drängten die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) darauf, möglichst schnell die geplante Müllverbrennungsanlage in der Gradestraße zu bauen. Doch auch von dem neuen BSR-Vorstand Helmut Paschlau waren zuletzt andere Töne zu hören: „Wir warten die abfallpolitische Diskussion ab, bevor wir den Genehmigungsantrag für Thermoselect stellen“, sagte er gegenüber der Fachzeitschrift Entsorga-Magazin. Der neue Staatssekretär im Umweltsenat, Hans Kremendahl, machte derweil klar, daß die Entscheidung über Müllverbrennungsanlagen in der Stadt letztlich bei der Senatsverwaltung liege und nicht bei der BSR: „Wir sitzen am längeren Hebel“, zitiert ihn das Entsorga-Magazin, „denn der Müll, den die BSR verbrennen will, ist zunächst einmal im Besitz der Stadt Berlin und die bestimmt, wer ihn behandeln darf und damit gutes Geld verdient.“

Kremendahl sieht sich daher nicht unter Zeitdruck: „Berlin hat noch ein gutes Jahr Zeit, für eine genaue Prüfung der Abfallplanung.“ Danach haben die Teilnehmer des Mediationsverfahrens nun mindestens ein Jahr Zeit, eine gemeinsame Linie zu finden. Noch ein Jahr ohne Bewegung in der Abfallpolitik? Beim Berliner Umweltsenator gibt es immerhin eine ungute Tradition, abfallwirtschaftliche Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben. Darum geht der größte Teil des Berliner Mülls seit den siebziger Jahren unbehandelt auf die Deponien im Brandenburger Umland und verursacht dort Schäden in Milliardenhöhe. Die Sanierung der maroden Berliner Hausmülldeponien wird mindestens 1,7 Milliarden Mark kosten, und diese Sanierungskosten sind der Hauptgrund für die Mitte des Monats angekündigte Abfallgebührenerhöhung bei der BSR.

An einem „Weiter so!“ kann also niemandem gelegen sein: weder der BSR, noch der Senatsverwaltung oder der Umweltbewegung. Allerdings hat dieses gemeinsame Interesse noch nie ausgereicht, alle Parteien auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Die veränderte Müllverbrennungspolitik des neuen Umweltsenators könnte jetzt Bewegung in die verhärteten Fronten bringen.

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