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■ Vom traurigen Nicken der MotorradfahrerEin letztes Pröttern zum Saisonende

Viele, die es nicht tun, standen auch in diesem Sommer wieder an Straßenkreuzungen und Alleenrändern, hielten sich die Ohren zu, sahen uns nach und fragten sich: Warum tut ihr das? Warum knattert ihr auf euren Scheißmotorrädern vollkommen sinnlos durch die Gegend? Denn das offenbart sich dem aufmerksamen Beobachter schnell: Dem Transport von A nach B dient ein Motorrad in den seltensten Fällen.

Verurteilt uns nicht leichtfertig, denn das Pröttern durch die Landschaft ist keineswegs so bar jeden Sinnes, wie es scheint. Es dient vielmehr und wohl in erster Linie als Antidepressivum. Ein Zerwürfnis mit dem anderen Geschlecht, postalkoholische Gewissensbisse, das fehlende Glücksgen, all das ist schnell vergessen, sitzt man auf dem Bock – wie man früher sagte – und gibt an der Ampel Most (auch so sagte man). Auch das Krachmachen und das Luftverpesten ist schön; dabei ist einem, als verbrenne man all seinen seelischen Schamott und blase ihn hinaus in die Welt. Ein Motorrad ist eigentlich kein Motorrad, sondern eine ziemlich große Glückspille. Proszac oder Ecstasy auf zwei Rädern gewissermaßen.

Am schönsten aber ist das Gemeinschaftserlebnis auf der Straße. Wo immer man auch fährt, man ist nicht allein, denn die traurigen Motorradfahrer grüßen sich, wenn sie sich begegnen, die bedrückteren durch ein reserviertes Nicken mit dem behelmten Kopf, die, bei denen die Behandlung schon angeschlagen hat, durch das lässige Heben des linken Arms. Das soll heißen: Wir Motoradfahrer sind keine verdrucksten Typen wie die Autofahrer in ihren geschlossenen Abteilungen. Wir sind wilde Kerle, o ja, wir sind irgendwie alle wie der junge Marlon Brando, yeah scheiße, oder Dennis Hopper, fuck it, und wir sind jetzt unwiderruflich super drauf, yo! (so sagt man wohl heute). Und spätestens in diesem Moment haben die wenigen Biker (so sagt man heute leider auch), die es einmal konnten, restlos vergessen, wie man Depression buchstabiert.

Und so wäre denn zumindest für uns nach einer kleinen Spritztour Welt und Seele wieder im Gleichgewicht, wenn das Herumbrettern nicht wie jedes Psychopharmakon Nebenwirkungen hätte. Die aber sind schwer und stellen sich in dem Moment ein, da einer von uns, an einer Tankstelle etwa, von seinem Fahrzeug steigt, Helm und Nierengurt ablegt, und es ein zweiter ihm gleichtut. Denn jetzt, in dieser Schrecksekunde, muß man erkennen, daß der andere keineswegs der ist, der er eben noch beim Durchfliegen der Haarnadelkurve zu sein schien, sondern eher Johannes Groß gleicht. Oder Helmut Markwort. Oder dem Leiter der Nordsee-Filiale in der Innenstadt. Putzwollen ist sein Bart, wächsern die Glatze, schmer der Bauch, und der Geruch von fischigem Bratfett verdrängt dreimal den Benzindunst. Auch gilt: Je größer die Maschine, desto markwortiger der Mann. Das also ist unser Eben- und Spiegelbild, so sehen wir wirklich aus. Und so etwas hat man eben noch gegrüßt, solch ein Schwamm zählt einen zu den seinen.

Da werden viele von uns mit voller Wucht von den soeben weggebügelten Depressionen wieder ergriffen. Und dann passiert's. Der eine oder andere labilere PS-Patient verkraftet diese allzu plötzliche Konfrontation mit der Wahrheit nicht und fährt, statt nach Hause, in der nächsten Kurve einfach geradeaus.

Brecht also nicht einfach den Stab über uns, wenn euch im nächsten Frühjahr einmal mehr Motorradgeprötter nervt! Habt Verständnis! Und flechtet für das nächste Bikerleichenbegängnis vielleicht schon mal einen Kranz! Christian Schmidt

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