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Bulgariens Opposition hofft auf eine Wende

■ Sonntag wird in einem der ärmsten Länder Europas ein neuer Präsident gewählt

Wien (taz) – So phantasielos die Wahlplakate, so konzeptlos sind ihre Kandidaten. Linke und Rechte, extreme Nationalisten und Kommunisten, sie alle treten zur bulgarischen Präsidentenwahl am kommenden Sonntag an mit dem einfachen Slogan: „Wählt mich“. Nur Männerköpfe kleben an Häuserwänden. Keiner der dreizehn Kandidaten hat ein orginelles Konzept, wie das Land aus der Krise zu führen wäre.

Auch die Favoriten, ein Liberaler und ein Wendekommunist, denken nur an ihre eigene Karriere und kaum an die Bürger. „Ich bin euer Kandidat“, sagt der Spitzenkandidat der liberalen Union der Demokratischen Kräfte, Petar Stojanow, „wenn ich die Macht übernehme, wird sich alles ändern, dann haben die Roten nichts mehr zu lachen.“ Stojanows schärfster Konkurrent ist Iwan Marasow, ein ehemaliger Kommunist und Kulturminister der sich jetzt sozialistisch nennenden Regierungspartei.

Obwohl ihm Meinungsforscher gerade 30 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang voraussagen und eine Stichwahl wahrscheinlich ist, denkt Stojanow schon jetzt laut darüber nach, wie er als der starke Mann Bulgariens in die Geschichte eingehen könnte. Noch in diesem Jahr, so Stojanow, werde er per Dekret das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben lassen, um die „Roten“ auf die Oppositionsbänke zu verdrängen.

Für Stojanow trägt die „rote Garde“ die alleinige Schuld an der bulgarischen Staatskrise. In seinem Weltbild gibt es keine komplexen Zusammenhänge: Die Kommunisten haben mit ihrer Kommandowirtschaft vierzig Jahre lang den Balkanstaat in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, nach der allgemeinen Wende in Osteuropa 1989 hätten sie sich dann der „natürlichen Reichtümer“ bemächtigt und im Bund internationaler Verbrechersyndikate den „Ausverkauf des Landes“ vorangetrieben.

Stojanows markige Sprüche können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß den bulgarischen Wählern sehr wohl in Erinnerung blieb, wie sich nach der Wende vor allem die rechtspopulistische Sammelbewegung der Union der demokratischen Kräfte, nachdem sie die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, in manch zweifelhafte Geschäfte einließ und ein Finanzskandal den anderen jagte. Bereits im Winter 1992 verloren Stojanows Parteifreunde aufgrund interner Spannungen und, ausgelöst durch ein Mißtrauensvotum der Sozialisten, die Parlamentsmehrheit, bei den vorgezogenen Wahlen im Dezember 1994 kehrten die Sozialisten zurück an die Schaltstellen der Macht.

Doch politische Stabilität und wirtschaftlicher Aufschwung blieben auch unter den Sozialisten aus. In keinem europäischen Land ist die Wirtschaftsproduktivität so niedrig wie in dem Balkanstaat. Hier leben 65 Prozent der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze, und im Winter droht eine katastrophale Energie- und Lebensmittelknappheit. Internationale Investitoren sind nicht in Sicht. Der Mord am ehemaligen Regierungschef Andrej Lukanow Anfang des Monats hat das Vertrauen in die Politik endgültig erschüttert. Nach wie vor gibt es keine verläßlichen Hinweise auf die Täter und ihre Hintermänner.

Beide großen politischen Lager versuchen den Fall Lukanow für sich zu instrumentalisieren. Für Stojanow steht fest, daß hinter den Mördern die russische Gasmafia mit Ministerpräsident Tschernomyrdin als Drahtzieher steht. Seine Parteifreunde verbreiten sogar das Gerücht, daß sozialistische Hardliner den Mord in Auftrag gegeben hätten, um so die Verhängung des Ausnahmezustands und die Verschiebung der Präsidentschaftswahl zu erzwingen. Parteifreunde des sozialistischen Spitzenkandidaten Marasow streuen wiederum das Gerücht, „rechte Nationalisten“ hätten Lukanow beseitigt, um auf diese Weise die bulgarische Linke zu diskreditieren. Vielen Bulgaren gehen diese Schuldzuweisungen zu weit, sie haben sich schon entschieden: Meinungsforschern zufolge werden mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten am Sonntag den Urnengang boykottieren. Karl Gersuny

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