: Ebbe in den Geldbeuteln
■ Die soziale Lage der Studierenden verschlechtert sich. Ein Kommentar
Es geht Schlag auf Schlag gegen den Geldbeutel der Studierenden: Immatrikulations- und Rückmeldegebühren als „Solidaritätsbeitrag“ für den maroden Berliner Haushalt, Änderungen des Bafögs. Bald gibt es vielleicht sogar Studiengebühren. Und seit dem 1. Oktober sind auch die studentischen Jobs rentenversicherungspflichtig geworden. Gut versteckt im „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz“ wurde diese Regelung zusammen mit dem sogenannten Sparpaket der Regierung verabschiedet. Das soll den Rentenkassen etwa eine halbe Milliarde Mark mehr bringen.
Nach der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes müssen rund 60 Prozent der Studierenden jobben, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Inzwischen erhalten nur noch zwölf Prozent die Bafög-Vollförderung. Auch damit reicht das Geld für den Lebensunterhalt nicht aus. Bisher konnten die studentischen Arbeitsvermittlungen in Berlin jährlich rund 200.000 Jobs vermitteln. Dazu kommen etwa 4.000 Vollzeitstellen für Studierende an den Hochschulen. Für alle diese Jobs sind jetzt Beiträge zur Rentenversicherung fällig. Wer mehr als 15 Stunden pro Woche arbeitet oder mehr als 590 Mark (West) beziehungsweise 500 Mark (Ost) im Monat verdient, muß zahlen. Wachsen werden dadurch gewiß die Rentenkassen, aber auch die Zahl der Beschäftigungen, wie das Gesetz vollmundig verkündet?
Eher im Gegenteil. Die Regelung wird sich als Jobkiller entpuppen und die soziale Lage der Studierenden weiter verschlechtern. An den Berliner Hochschulen gibt es durch die Kürzungen bereits seit einigen Jahren weniger Stellen für Studierende. Allein 1996 müßten fünf Millionen Mark und damit etwa 500 Stellen gestrichen werden. Bei den Stellen, die ab Oktober 1996 neu zu besetzen sind, wird der Arbeitgeber- und der Studierendenanteil fällig. Für die Hochschulen bedeutet das rund 4,6 Millionen Mark zusätzliche Kosten. Ob das Land Berlin die Summe übernimmt, ist völlig unklar. Ein neues Loch in den Hochschulhaushalten droht, und es ist mehr als ungewiß, ob die Hochschulen diese Summe erbringen können. Andernfalls bleiben die Alternativen, entweder nur noch 590-Mark- Verträge abzuschließen oder die Anzahl der Stellen weiter zu reduzieren. Die Studierenden selbst, die ihren Anteil von 9,6 Prozent des Verdienstes in die Rentenversicherung einzahlen müssen, haben am Jahresende mit ihren 40-Stunden-Tutorenverträgen 1.000 DM weniger im Portemonnaie und müssen auch noch 200 Mark zusätzlich für die Rückmeldegebühren bezahlen. Keiner kann im Ernst erwarten, daß die Studierenden mit 590 Mark auskommen können. Doch sobald sie einen weiteren Job annehmen, werden die Beiträge fällig. Da ist es schon am besten, aus dem elterlichen Geldbeutel zu leben, bloß: wer kann das noch?
Völlig absurd wird die Situation für die ausländischen Studierenden. Zwei Drittel von ihnen sind auf einen Zusatzverdienst angewiesen. Auch bei ihnen will die Bundesregierung abkassieren, obwohl die meisten von ihnen niemals Rente beziehen werden, weil sie in ihre Heimatländer zurückkehren.
Der große Aufschrei der Studierenden ist bislang ausgeblieben, weil es sich entweder noch nicht genug herumgesprochen hat oder weil die Folgen erst jetzt bei der Auszahlung des Monatsgehaltes für Oktober bei allen neuen Verträgen spürbar werden. Bei einem Einkommen von beispielsweise 800 Mark gehen 75 Mark ab. Der Arbeitgeber muß dieselbe Summe einzahlen. Brigitte Reich
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