„Hier soll einmal das Leben pulsieren?“

■ Tag der offenen Tür bei Debis anläßlich des Richtfests. Die Besucher sind gespalten, was da entstehen wird: Von „aalglatt“ bis „überwältigend“ ist alles vorstellbar

Immer wieder schaut Stephan Meinhard mit ungläubigem Blick in die canyonartigen Baugruben, in denen ganz tief unten einsam ein paar Bagger abgestellt sind. Dann schaut er in den Himmel, in der die Führerhäuschen der unzähligen hochhaushohen Kräne kaum noch zu erkennen sind. „Hier soll also in ein paar Jahren das Leben pulsieren“, sagt er und lacht. „Das glaube ich einfach nicht.“ Er kann sich nur schwer vorstellen, daß am Potsdamer Platz eine „Stadt in der Stadt“ mit Büros, Wohnungen, einem Musical-Theater, einer Spielbank und Kinos entstehen soll. „Das wird eine Retortenstadt“, ist er sicher, „völlig künstlich.“

Stellvertretend für den gesamten Komplex der Debis/Daimler- Benz AG wurde am Wochenende am Potsdamer Platz Richtfest gefeiert. Am gestrigen „Tag der offenen Tür“ konnten sich auch BerlinerInnen die größte innerstädtische Baustelle Europas anschauen, allerdings hinter hohen Zäunen und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Die 19 Bauten sollen 1988 bezugsfertig sein. Debis investiert am Potsdamer Platz rund vier Milliarden Mark. Der Konzern rechnet damit, das täglich 80.000 bis 100.000 Besucher zum Potsdamer Platz kommen werden.

Eine kuschelig eingerichtete Wohnung ganz weit oben, im zwölften oder dreizehnten Stockwerk der langsam wachsenden großen Büro- und Geschäftshochhäuser würde der 33jährige Angestellte Stephan Meinhard aber trotzdem nehmen. Aber nur als Zweitwohnung.

Denn daß hier Menschen freiwillig permanent in dieser „Glas- und Betonwüste“ am Potsdamer Platz leben wollen, kann er partout nicht glauben. Das sei, als ob man in einem luxuriösen Luftschiff schwebte und lebte, das vom Rest der Welt abgekoppelt sei, stellt sich Stephan Meinhard vor: Hoch oben nippt die High-Society am Champagner, und der ehemalige Bonner Beamte ruht sich nach einem langen Arbeitstag von seinen Sitzungen aus.

Auch Dorothea Fischer glaubt nicht, daß der „Berliner“ eine Chance bekommen wird, am Potsdamer Platz eine Wohnung zu ergattern. Und auch sonst findet sie das halbfertige Debis-Hochhaus, in das die Hauptverwaltung ziehen soll, und den benachbarten Gebäudekomplex des Architekten Arata Isozaki, die beide gestern besichtigt werden konnten, „aalglatt“. Das im Rohbau größtenteils fertiggestellte Ensemble mit den rose- braunfarbenen Kacheln und futuristisch grünen Verbindungsgängen, in das möglichwerweise das Innenministerium ziehen soll, erinnert sie an ein „Industriegebiet“. Die Atmosphäre, die das Gebäude ausstrahle, sei viel zu „kalt“.

„Der Berliner“, weiß die gebürtige Charlottenburgerin, „der Berliner braucht Kommunikation und will wo sitzen.“ In Cafés und Kneipen, am liebsten verräuchert und laut. Nur wenn es davon genug gebe, prophezeit Dorothea Fischer, werde „der Berliner“ sich auch mal abends am Potsdamer Platz aufhalten.

Klaus Hirsch ist da viel optimistischer. „Das Konzept wird aufgehen“, ist er überzeugt. Hirsch ist einer der Bauleiter des sogenannten Abschnitts A, in dem unter anderen das Hyatt-Hotel und das gigantische Cinemaxx-Kino mit Leinwänden so groß wie ein Tennisplatz, gebaut wird. Am Potsdamer Platz „werde durch die Bank weg“ städtisches Leben entstehen. Er findet die Architektur zwar ziemlich „kühl“, aber in wenigen Jahren entstehe hier eine „klassische Berliner Mischung“: Geschäfte, Büros, Wohnungen. Urbanes Leben in einer europäischen Metropole. „Für die, die Geld haben natürlich“, fügt er schnell hinzu.

„Überwältigend“ und „wunderbar“ findet der 68jährige Günter Voss den neu entstehenden Potsdamer Platz und schwärmt, als sei er Marktschreier für die Promotion des Potsdamer Platzes: „So etwas Feines hatten wir noch nicht in Berlin.“ Er freut sich, die tiefen Baugruben jetzt auch mal ganz aus der Nähe zu begucken. Der Rentner sitzt nämlich häufig am Fenster in der naheliegenden Staatsbibliothek und beobachtet minutiös die Bauarbeiten.

Trotzdem, er kann sich immer noch nicht richtig vorstellen, wie es bald mal aussehen wird. „Wie am Kurfürstendamm nicht, wie in der Friedrichstraße nicht“, sagt er und kratzt sich am Kopf. Und eigentlich sei ihm das auch egal. Denn die Bauarbeiten, die seien viel spannender als die fertigen Häuser. Julia Naumann