Kleine Räume, alles Lüge

Klatsch, Tratsch, Fauxpases beim 3:1-Sieg des 1. FC Köln gegen den FC Schalke 04, und Kölns Coach Peter Neururer wünscht alles Gute  ■ Aus Köln Katrin Weber-Klüver

Jüngst verstummtes Gelsenkirchener Gemurmel offenbarte, daß beim FC Schalke 04 ein Mangel an Kommunikation herrschte. Huub Stevens hat als Nachfolger des darob geschaßten Übungsleiters Jörg Berger pädagogische Konsequenzen gezogen. „Wir sprechen viel.“ Und zwar derart, daß der Trainer den Spielern „Aufträge“ gibt. Weil es aber dem Spiel immanent ist, daß seine Spieler mehr oder minder Definiertes tun, wird das Konzept konkretisiert. Genauer gesagt: räumlich eingegrenzt. Im Training arbeitet Stevens daran, „den Erfolg in den kleinen Räumen zu suchen“.

Da freut sich der Taktik-Fan, daß ein neuer Begriff in die etwas eintönig gewordene Debatte dringt, die gerade am liebsten um echte und falsche Viererabwehrketten kreist. Auch darüber, daß die etablierten engen Räume womöglich Konkurrenz oder gar einen Freund bekommen haben. Noch ist der Terminus so jungfräulich, daß selbst ein gestandener Berufsfußballer wie Olaf Thon nicht wirklich weiß, was er bedeutet. „Kleine Räume“ entlocken dem Schalker Libero nur ein Achselzucken. Aber dann fällt ihm doch noch ein, daß das Spielfeld als solches sehr groß sei – „ungefähr 110 mal 55 Meter“, wie Stevens freundlicherweise ergänzt. Vornehmlich, so faßt Thon seine Einsicht zusammen, gehe es darum, sich in den 20 Metern dies- und jenseits der Mittellinie „zu verschieben“ und so „kleine Felder“ zu bilden. Erfahrungsgemäß jedoch erzielt man in Mikrozonen nahe des Anstoßkreises weder Tore, noch verhindert man sie.

So nutzte es gar nichts, daß selbst des Gegners Trainer Peter Neuurer nach Schalkes Auswärtsspiel in Köln feststellte, die Gäste seien „in der Raumaufteilung besser gewesen“ als der 1. FC, der nur durch „Engagement“ gewonnen habe und sich „sportlich weiterentwickeln“ müsse. Denn weil Schalke in den 20 Metern vor beiden Toren „glücklicherweise zwei Fauxpases“ (Neururer) unterliefen, erzielten in einem durchschnittlichen Spiel die Gäste nur ein Tor, die Kölner aber deren drei. Und der Pädagoge Stevens sah „noch viel Arbeit“ auf sich zukommen. War aber Holländer genug, darüber nicht seine gute Laune zu verlieren. Entspannt widmete er sich mit Schalkes Faktotum Charly Neumann der Frage des codierten Empfangs holländischen Fernsehens in und um Gelsenkirchen.

Morgen absolviert der FC Schalke 04 in Trabzonspor sein UEFA-Cup-Rückspiel. Der Glaube, daß nach dem 1:0 im Heimspiel dort die große Wende der vermasselten Saison eingeleitet wird, hält sich sogar beim letztjährlich so glückstrunkenen Anhang in Grenzen. Während in der Sommerpause noch säckeweise Blindbestellungen für das erste UEFA- Cup-Auswärtsspiel eingegangen waren, rechnet Manager Rudi Assauer nun nur mit 1.000 mitreisenden Fans.

Immerhin wird die blauweiße Tristesse durch Mitleiden eines Siegers belebt. „Alles Gute“, gab Neururer dem Verein mit auf den Weg, in dem er selbst eineinhalb Jahre Trainer war. Mit markigen Worten („Für mich zählt nur der Sieg“) hatte er das „Spiel des Jahres“ in Köln gepuscht. Tatsächlich ging es darum, den Schmerz eines verschmähten Liebhabers zu lindern. Zwar bekundet Neururer gern, der FC sei sein Traumverein schon immer gewesen; aber daß ihn vor sechs Jahren der Sonnenkönig von Gelsenkirchen, Günther Eichberg, aus dem Amt jagte, wo ihn doch alle Schalker Fans so liebhatten, vergißt er nicht. Er wohnt noch immer nahe des Parkstadions und ist Schalkes Mitglied Nummer 822.767.

Also hatte er zuvor versprochen, im Falle eines Kölner Sieges hupend seine Runden ums Parkstadion zu drehen. Die Unfalliste des Trainers mit der Vorliebe für schnelle Autos versprach länger zu werden. In den vergangenen Wochen hatte der Kölner Schalker einen Tankstellenunfall (startete mit eingehängtem Tankstutzen) und Autobahnintermezzi (Leitplankentouchieren bei Aquaplaning, herumfliegender Lkw-Reifen auf dem Kühler) schadlos überstanden. Aber vor dem Spiel ist nicht nach dem Spiel. Und nach dem Spiel war sein Kommentar nur noch ein – in Gedanken an den einstelligen Tabellenplatz und einhellige Schalker und Kölner „Peter Neururer“-Gesänge im Stadion – milde gehauchter Laut. „Ach!“

Schalke 04: Lehmann - Thon - de Kock (43. Kurz), Linke - Latal, Nemec, Müller, Dooley (46. Mulder), Anderbrügge (71. Büskens) - Max, Wilmots

Zuschauer: 43.000

Tore: 1:0 Vladoiu (33.), 1:1 Wilmots (48.), 2:1 Baumann (65.), 3:1 Vladoiu (68.)

1. FC Köln: Ananiew - Cichon - Baumann, Schmidt - Scherr, Thiam (76. Braun), Oliseh (67. Weiser), Munteanu, Andersen - Polster, Vladoiu (71. Gaißmayer)