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■ Krieg in Afghanistan: Angriffe als VerteidigungModell Nordirak

In schwindelerregendem Tempo wechselten sich seit dem Fall der afghanischen Hauptstadt Kabul an die ultraislamistischen Taliban Ultimaten und Verhandlungsangebote ab. Vermittler schwärmten in die Hauptquartiere der Fraktionen aus: Gesandte von UN- und Islamischer Konferenz, Pakistans Innenminister (sic!) Babar, Irans Vizeaußenminister Borujerdi. Ein russischer Diplomat nahm sogar an dem Treffen teil, bei dem ein „Oberster Verteidigungsrat“ entstand, in dem selbst den Taliban Sitze freigehalten wurden.

Aber allen fehlt das Entscheidende: Neutralität. Selbst der ohnmächtigen UNO, die auch nur die Summe von Einzelinteressen ist.

Am Donnerstag trat der Verteidigungsfall ein. Die Taliban erklärten den starken Mann des Rates, den nordafghanischen Warlord Dostum (manche nennen ihn gar „Peacelord“, weil er in seinem Machtbereich ein „liberales“ Gegenkonzept zum Gottesstaat der Taliban entwickelt) zum Feind und versuchten, ihn an seiner weichen Flanke im entlegenen Nordwesten anzugreifen. Die Allianz antwortete mit forcierten Attacken auf Kabul. Dostums Truppen, denen bisher Zurückhaltung auferlegt war, griffen erstmals direkt in die Kämpfe ein. Die Fronten klärten sich, der Verteidigungsrat wurde zur Anti-Taliban-Allianz.

Im Nordwesten droht jetzt eine weitere Internationalisierung des Konflikts: Zur Anti-Taliban-Allianz gehört auch ein Kommandant der ehemaligen Regierung, der vor den Taliban nach Iran geflohen war und dort mit Hilfe der Revolutionswächter einen Gegenschlag vorbereitet haben soll. Da Pakistan seit langem die Taliban und Usbekistan Dostum unterstützt, kann hier ein neuer Nord-Irak entstehen. Wie der Traum vom „freien Kurdistan“ im Streit Barsanis und Talabanis zur Fiktion geworden ist, existiert auch der afghanische Staat nur noch auf dem Papier. Es gibt zwei Währungen, mindestens zwei Außenpolitiken und ein gutes Dutzend Armeen. Das Symbol der Einheit, die Hauptstadt Kabul, liegt in Trümmern. Es steht zu befürchten, daß die Wiederherstellung eines wirklichen Staates Afghanistan genauso lange dauern könnte, wie die Kurden schon um ihren Staat ringen. Thomas Ruttig

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