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Zum Abschied freundlich Servus

■ Goran M. wurde – versehentlich – der Ausweisungsbescheid zugestellt. Ein „Ausnahmefall“, so das Münchner Ordnungsamt

Manchmal spielt die bayerische Abschiebemaschinierie verrückt. Goran M. zum Beispiel, vor vier Jahren aus Banja Luka nach Bayern geflohen, hat vor kurzem die gefürchtete „Grenzübertrittsbescheinigung“ vom Landratsamt bekommen. „Unverzüglich“ soll er die Bundesrepublik verlassen, teilt ihm die Behörde in dem Standardschreiben mit, das bisher an etwa 10.000 bosnische Flüchtlinge in Bayern verschickt wurde; bis zum nächsten Sommer will der Freistaat 20.000 Bosnier abschieben.

Goran M. wäre eigentlich keiner von denen, die Bayern als erste loswerden will: Er ist verheiratet, hat einen zweijährigen Sohn und gehört damit zu jener Gruppe, die erst nach dem kommenden Winter verschwinden soll. Trotzdem hat Goran M. den fatalen Bescheid bekommen, und nun steht er eines morgens unsicher im Büro der Caritas-Flüchtlingsberatung am Münchner Hauptbahnhof. Romina Meneghello, eine Beraterin, stellt nur kurz fest, daß Goran M. die Einspruchsfrist übersehen hat, die ihm die Behörde gesetzt hat. „Ich kann schlecht deutsch lesen“, entschuldigt er sich. Die Beraterin setzt sich an den Computer und tippt für Goran M. einen Brief an das Kreisverwaltungsreferat: die Münchner Ordnungsbehörde.

Zweimal schaut sie vom Bildschirm auf, fragt nach Vorstrafen und Sozialhilfe, und als er beides verneint, druckt sie die Bitte um Verlängerung aus. „Damit fahren Sie jetzt zum Kreisverwaltungsreferat. Wenn's Schwierigkeiten gibt, kommen Sie wieder. Dann müssen wir zum Verwaltungsgericht.“

Kreisverwaltungsreferat, Zimmer 1016, „Buchstabe L, Ma bis Marin, ohne Maier“ steht auf dem Türschild. Goran M. zieht eine Nummer aus dem Einlaß-Automaten, und nach 20 Minuten schaut ein schweigsamer Beamter seinen Brief an. „Da gehn's bitte zu Zimmer 1042“, ist alles, was er sagt.

Zimmer 1042. Ein freundlicher junger Beamter nimmt den Brief und Gorans Paß entgegen, reicht beides seiner Kollegin, die kurz darin blättert und zu einem Stempel greift. Sie drückt ihn zweimal in den Paß. „Jetzt gehen's bitte zur Kasse und zahlen 20 Mark“, sagt sie, legt den Paß auf ihren Schreibtisch und schickt ihn raus.

„Hast du gesehen, sie hat ,ungültig‘ gestempelt“, sagt Goran ängstlich. Schnell zahlt er die Gebühr und holt sich den Paß wieder. Und seine Angst war berechtigt. Über dem alten Text „Aussetzung der Abschiebung bis 25. November 1996“ steht jetzt: „ungültig“. Dafür steht daneben ein neuer Text: „Rückkehrberechtigung bis zum 21. November 1996.“

20 Mark hat Goran M. dafür gezahlt, daß er jetzt vier Tage früher ausreisen muß. Als er unruhig fragt, warum er keine längere Duldung bekommt, verweigert der Beamte eine Erklärung: „Da müssen Sie zu meinem Chef“, sagt er und gibt noch einen ungemein wertvollen Tip: „Sie sollten sich in Bosnien eine Wohnung suchen.“

Zimmer 1060, kein Türschild. Ein weiterer freundlicher Herr liest den Brief, fragt Goran, ob er verheiratet ist und wie alt sein Kind sei. Ein paar Minuten bearbeitet er seinen Computer. Wenig später spaziert Goran M. aus dem Amtszimmer, in der Hand eine Verlängerung bis Ende März 1997. Auf die Frage, weshalb die Kollegen von „1042“ diese Erlaubnis verweigert haben, sagt der freundliche Herr, das sei ihm auch nicht klar. Und selbstverständlich würde sowas nur im Ausnahmefall passieren. Felix Berth, München

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