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Nach mir die Unwirtlichkeit

„Bettler-Papier“ vom Tisch: Keine neuen Gesetze / Initiator Voscherau läßt Innensenator im Regen stehen und hat „Null Selbstkritik“  ■ Von Silke Mertins

Weder Mühe noch Nachtarbeit hatte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) gescheut. Bis zur letzten Minute feilte er an Formulierungen für die überarbeitete Drucksache „Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt“, die gestern den Senat passierte. Gestrichen sind nahezu alle umstrittenen Passagen zur Vertreibung der „Randständigen“ von den „Visitenkarten“ der Stadt. Auch der „unwirtliche“ Titel wurde in „Verbesserung der Lebensqualität, Attraktivität und Sauberkeit der Stadt“ umbenannt.

Übriggeblieben sind lediglich Absichtserklärungen, die im Rahmen der Gesichtswahrung unerläßlich waren. So will der Bürgermeister weiterhin prüfen lassen, ob Gesetzesänderung oder lediglich eine Anwendung bestehender Regelungen erforderlich sind. Die Senatskommission soll sich außerdem damit befassen, wie Hamburg sauberer werden kann.

Obdachlose, Bettler und Junkies kommen in den Beschlüssen nur noch im Zusammenhang mit einem verbesserten Hilfekonzept vor, daß unter Federführung der Sozialbehörde ausgearbeitet werden soll. Senatorin und Hauptkritikerin des „Unwirtlichkeits“-Papiers („verheerende Stoßrichtung“) Helgrit Fischer-Menzel (SPD) hat dem Senat bereits konkrete Vorschläge vorgelegt; darunter eine Therapieplatzbörse, neue Übernachtungsmöglichkeiten und eine stationäre therapievorbereitende Einrichtung für obdachlose Alkoholiker.

Mit dem „einstimmigen“ Senatsbeschluß seien die „bedauerliche“ Diskussion und die „Mißhelligkeiten zwischen Senatsmitgliedern“ beendet, so Voscherau gestern. Durch den parteiinternen Streit mit all seinen „giftigen Untertönen“ sei „politischer Schaden“ entstanden. Er selbst habe sich aber „Null Selbstkritik“ vorzuwerfen; auch von einer politischen Schlappe könne nicht die Rede sein. In der Sache habe er sich „hinter den Innensenator“ gestellt.

Das dürfte Hartmuth Wrocklage (SPD) entschieden anders sehen. Denn nachdem der Bürgermeister ihm das Unwirtlichkeits-Projekt ans Bein gebunden hat, läßt er ihn nun im Regen stehen. Besonders sauer ist man in der Innenbehörde darüber, daß Voscherau den Entwurf als „holprig“ und „Behördenrohling“ bezeichnet hat. Schließlich ist Wrocklages Maßnahmenpapier nur die bereits abgemildete Fassung einer Vorlage, die direkt aus dem Planungsstab der Senatskanzlei stammt und dazu geeignet gewesen sei, „Dschingis Khan rechtsaußen zu überholen“, wie es aus Kreisen der Sozialbehörde hieß. Wochenlang sei Voscherau mit seinem Anliegen bei den Senatoren „aggressiv hausieren“ gegangen. Bis Wrocklage sich breitschlagen ließ.

In entsprechend kühler Atmosphäre und ohne den gewohnten Händedruck begegneten sich Innensenator und Bürgermeister am Montag abend auf der SPD-Landesvorstandssitzung. Stellvertretend für den Initiator Voscherau mußte sich Wrocklage für das Bettler-Papier rügen lassen.

Allein eineinhalb Stunden lang wurde nur darum gestritten, wer wann welche Interwiews gegeben und wann wen belogen habe. Der Eimsbütteler Kreisvorsitzende und schärfste Kritiker des „Unwirtlichkeit“-Papiers („Das soll die Assoziation Wirt-Unwirt-Parasit auslösen“), Heinz Uthmann, mußte zwar wegen der Formulierung Schelte einstecken. In der Sache folgte der Landesvorstand ihm jedoch und distanzierte sich mit großer Mehrheit und klaren Worten von der unwirtlichen Drucksache der Innenbehörde (siehe unten „Im Wortlaut“).

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