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Ab heute gilt der neue Ladenschluß: Drei von vier Geschäften machen mit, sie verlängern ihre Öffnungszeiten. Vorerst, denn die Kaufleute wollen das weitere Verhalten der Konsumenten abwarten. Das Personal jedenfalls wird nicht aufgestockt.

Außer Millionen von Verbrauchern wird einer heute ganz besonders strahlen: Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt. Denn er hat für seine „gesellschaftlich relevante Innovation“ – gemeint ist die Reform des Ladenschlußgesetzes – vom Wirtschaftsmagazin DM den Sonderpreis „Goldene DM“ verliehen bekommen. Der Liberale garantiere einen „hohen Kundennutzen“ und verbreite „zukunftsweisende Ideen“. Bundestag und Bundesrat hatten das 40 Jahre lang anders gesehen. Seit vergangenem Jahr stritten sie über das starre Ladenschlußgesetz aus den fünfziger Jahren.

Erst ein Kabinettsbeschluß und die nachträgliche Absegnung durch den Bundestag im Juni 1996 ermöglichten die kundenfreundlicheren Öffnungszeiten. Vorbei also die Zeiten des gestreßten Samstagmorgeneinkaufs im nächstgelegenen Supermarkt.

Ob der jedoch überhaupt länger geöffnet ist, hängt vom Standort ab. Von Ort zu Ort werden sich die Filialisten wie Tengelmann, Aldi oder Lidl entscheiden, wie lange sie Wurst und Waschmaschinen an den Kunden bringen.

Hans Harben vom Bundesverband der Filialbetriebe und Selbstbedienungswarenhäuser rechnet damit, daß in Kleinstädten und Dörfern die Geschäfte wahrscheinlich nur bis 19 Uhr geöffnet haben. Wenn die kleinen Läden nicht mitziehen bis 20 Uhr, mache es keinen Sinn, daß der Supermarkt versuche die Stadt zu beleben.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels – lange Zeit entschiedener Gegner des neuen Gesetzes – hat seinen Mitgliedern empfohlen, sich vor Ort abzusprechen. Gemeinsam sollten sie Werbestrategien entwickeln und das Kaufverhalten der Kunden beobachten. Nach einer Umfrage des Verbands wollen immerhin 75 Prozent der Einzelhändler zumindest teilweise ihre Öffnungszeiten verlängern. Vor einigen Monaten waren es nur acht Prozent.

Ein Drittel der Händler in Stadt, Land und Vorort will jeden Abend länger öffnen, die meisten sogar bis zur Tagesschau-Grenze und samstags bis 16 Uhr. 22 Prozent der EinzelhändlerInnen wollen immerhin am Donnerstag und Freitag ihre Türen bis 20 Uhr offen lassen. Selbst LandbewohnerInnen und die Menschen in den Vorstädten haben also etwas von der liberalisierten Öffnungszeit.

„Wir versprechen uns einiges von den längeren Öffnungszeiten“, sagt Harben, der die großen Lebensmittelketten und Megasupermärkte auf der grünen Wiese vertritt: „Verbraucher können endlich streßfrei einkaufen.“ Wenn die dann genüßlich durch die Regale mit Nudeln, Bügelbrettern und Campinggeschirr stromern, kaufen sie mehr als beim hektischen Abendeinkauf. „Das Konsumklima wird sich allerdings nicht groß aufhellen“, sagt Harben.

Arbeitslosigkeit und Lohneinbußen werden den Konsumanbietern weiterhin zu schaffen machen. Die Einbußen wird auch die längere Öffnungszeit nicht ausgleichen. Harben rechnet dann auch nur mit einem bescheidenen Wachstum von höchstens 1,5 Prozent für die Filialisten. Da der Einzelhandel in den vergangenen Jahren rückläufig oder stagnierend ist, gewinnen immerhin die Supermärkte von der neuen Ladenöffnungszeit.

Vielleicht. Denn genau wissen das weder die Einzelhandelsverbände noch Karstadt oder der Krauter um die Ecke. „Neue Arbeitsplätze schafft die Reform vorerst jedenfalls nicht“, hat der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels von seinen Mitgliedern erfahren. So wie die Unternehmen haben auch die großen Kaufhausketten keine neuen MitarbeiterInnen eingestellt. „Wir warten ab“, sagt Elmar Kratz, Sprecher der Karstadt AG. Von den 186 Karstadt-Häusern in Deutschland machen immerhin 90 Prozent mit, ohne daß ein neuer Arbeitsplatz geschaffen wurde.

Die VerkäuferInnen werden also Überstunden schieben und diese in möglichst langen Wochenenden abbummeln. Oder sie fangen statt um 9 Uhr morgens erst um 11 Uhr an und bleiben abends zwei Stunden länger. Ab 18.30 Uhr steht ihnen zum Beispiel in Berlin nach dem neuen Tarifvertrag 20 Prozent mehr Gehalt zu. Der verbietet es den Unternehmen auch, ihre MitarbeiterInnen zu vierstündigen Mittagspausen zu verdonnern. „Das Personal wird ausgedünnt“, sagt Ottwald Demeli von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. „Optimieren“ nennt das Hans Harben. Der Verbraucher kann zwar mehr Zeit im Kaufhaus verbringen, wird dort jedoch noch seltener als zuvor eine beratende Verkäuferin antreffen. Kratz: „Von fünf Mitarbeitern in einer Abteilung sind dann eben nur drei anwesend.“

So unsicher wie sich die Händler über die Auswirkungen der längeren Öffnungszeiten sind, reagieren auch die Verkehrsbetriebe in den Großstädten. In Hamburg und München setzen die Betreiber der S- und U-Bahnen auf längere Züge. HVV und MVV wollen nicht einen einzigen Bus zusätzlich fahren lassen, die Taktzeiten der Bahnen bleiben vorerst gleich. „Wir beobachten und warten ab“, sagt ein Sprecher des Hamburger Verkehrsverbundes. in Berlin immerhin fahren in den wichtigsten Stadtteilen mit eigenen Einkaufszonen bis 20 Uhr die Busse in verkürztem Takt.

In anderen Gegenden sind die Verkehrsbetriebe noch unflexibler: So können die Kölner ihre Abfahrtzeiten nicht vor dem Frühjahresfahrplan 1997 ändern und lassen damit allein 800 Angestellte eines Einkaufszentrums am Kölner Stadtrand nach Feierabend im Regen stehen. Ulrike Fokken

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