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Die Ästhetik der Langsamkeit

■ Zwei Ausstellungen wider den typografischen Zeitgeist

Im Rahmen der 4. Hamburger DesignKreuzzüge (wer zum Teufel denkt in so einer Sprache?) zeigen einige junge Graphikdesigner, wie man sich konstruktiv vom „Carson-Syndrom“, dem alles überdeckenden Vorbild des amerikanischen Seitengestalters, der Text vordringlich unter seinem graphischen Aspekt betrachtet, frei machen kann.

Ihre Ausstellung heißt KraftAkt und könnte unter dem Motto stehen: „Zum Erkennen und Lesen bestens geeignet.“ Den Designern und Gebrauchsgraphikern gelingt es, einen atmosphärischen Bogen zwischen Kunst und Design zu schlagen, ohne die Diktatur der appetitlichen Ansicht über den Inhalt der Worte auszuüben. Ihr Ziel ist ein bewußter Umgang mit Text und Bild zwischen kreativer Freiheit und freiwilliger Selbstkontrolle angesichts unbeschränkter, digitaler Formenbeliebigkeiten. Im Gegensatz zum selbsternannten, immerhin 39jährigen „Wunderkind“ David Carson – der sein Werk im übrigen bildenden Künstlern wie Hausmann, Marinetti und Schwitters zu verdanken hat und mit seiner Methode gerade dabei ist, den freien Fachautor medial abzuschaffen – versuchen die Hamburger Gebrauchsgraphiker, Zeichenbild und Bildzeichen mit einer sinnlichen Differenziertheit zu verbinden.

Das Resultat sind lesbare Texte mit nachdenklichen Inhalten (Klaus-Peter Staudinger), Auseinandersetzung mit der Alltagswahrnehmung und typographischer Umweltverschmutzung im Grenzbereich zu Installation und Tafelbild (Ralph Mehrtens, Thorsten Schneider) und Besinnung auf das notwendig zu Bewahrende (Veronika Elsner, Günther Flake).

Diese Suche nach Gegenpolen hatten auch die Studenten der Hamburger Design Factory mit der leider schon beendeten Ausstellung Brombeerzeit im Blick gehabt: Entwürfe für eine Ästhetik der Langsamkeit münden in eine Suche nach der Dialektik von Bild und Gegenbild. Dabei wird sich ganz unideologisch sowohl der traditionellen wie der neuen Medien bedient. Die funktionale Angemessenheit der Darstellung zeigt, wie der Betrachter ernstzunehmen ist. Dabei wird Erzählen wieder groß geschrieben.

Einer Studentin gelang die Zusammenfassung der Anliegen aufs typografisch und inhaltlich intelligenteste: „Wären wir ruhiger – langsam ginge es uns besser.“ Stimmt. Der langsame Kraftakt lohnt sich.

Gunnar F. Gerlach

KraftAkt: tgl., 14-20 Uhr, Kraftwerk, Leverkusenerstr. 54, bis 7. November

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