Das Land des „trotz alledem“

■ Wer nach Kolumbien reist, hat bei der Reiseliteratur wenig Auswahl. Zwei neue Bücher – ein Reiseführer und eine Landeskunde – sind jetzt erschienen

Kolumbien hat eine schlechte Presse. Abgestempelt als „Drogenland“, ist es in Wahrheit selbst eine Droge, von der wegzukommen schwer ist. So paradox es klingt: Trotz ständiger Gewalt, trotz Entführungen und Anschlägen, trotz Armut, Korruption und politischem Chaos ist Kolumbien lebens- und liebenswert. Irgendwann hat man in diesem „Land des permanenten Ausnahmzustands“ gelernt, daß es nicht hilft, angesichts des alltäglichen Wahnsinns in kollektive Depression zu verfallen. So ist Kolumbien das Land des „trotz alledem“ geworden, ein Land des Tanzes auf dem (speienden) Vulkan.

Abgesehen von einem ältlichen Goldstadtreiseführer und ein paar Kapiteln in Südamerikasammelwerken war Kolumbien als Reiseland auf dem deutschen Buchmarkt bis heute kaum existent. Die einzige ernsthafte „Länderkunde“ ist 1980 bei Wagenbach erschienen – verdienstvoll, aber nicht mehr gerade taufrisch. Zwei neue Bücher versuchen diese Lücke zu schließen. Mit ihrem 450 Seiten umfassenden Reisehandbuch Kolumbien erweisen Hella Braune und Frank Semper allen Kolumbienabenteurern einen wirklichen Dienst. Gewiß, der landeskundliche Teil ist etwas mager, die Qualität der Karten ärmlich, Layout und Design zopfig, und die Übersichtlichkeit läßt zu wünschen übrig – doch all das wird durch die vielen, gründlich recherchierten Informationen wettgemacht.

Der Wert dieses Buches liegt im Detail, die wichtigsten Informationen sind in den Ortsbeschreibungen versteckt. Braune und Semper haben ihr Notebook wirklich in alle Ecken des Landes geschleppt und fleißig gefüttert – nicht nur mit praktischen Adressen und Tips, sondern auch immer wieder mit aufschlußreichen Hintergrundberichten.

Es lohnt sich, das Buch von vorne bis hinten zu lesen. Selbst der „Kokaindschungel“ mit seiner Kokainhauptstadt Miraflores wird vorgestellt – samt deren neuester Diskothek „Sadoma“. Und dabei erfährt man nicht nur, daß die Betreiber allein in die Beschallungsanlage 70.000 Dollar gesteckt haben, sondern bekommt auch noch eine ziemlich genaue Beschreibung der Kokainproduktion nebst einigen aktuellen Anmerkungen zum Kampf zwischen Regierung und Kokaproduzenten.

Auch wen es eher in die pure Natur zieht, findet ausreichend Informationen. Die vielen herrlichen Naturparks Kolumbiens sind nicht nur aufgelistet, man bekommt auch genaue Anweisungen, wie man sie bereisen kann und was sie auszeichnet. Das gleiche gilt für nahezu alle besuchenswerte Orte des Landes, von Aracataca bis Zipaquira. Der allgemeine Infoteil ist präzise und nützlich, selbst eine Tierliste und ein hübsches Glossar kolumbianischer Ausdrücke ist beigefügt. Wer immer sich in den nächsten Jahren Kolumbien genauer ansehen will, sollte dieses Buch mitnehmen.

Warum der Beck Verlag in seiner praktischen Länderkunden- Reihe dem gerade erschienenen Kolumbienband nur knappe 145 Seiten zubilligt, verstehe, wer will. (Der entsprechende – gute und gründliche – Peruband von Eleonore von Oertzen – gerade in zweiter neubearbeiteter Auflage erschienen – umfaßt pralle 237 Seiten.)

Gerade die Konkurrenzlosigkeit hätte es eigentlich geboten, die Länderkunde Kolumbien besonders ausführlich zu gestalten. Gerhard Dilgers Bändchen müht sich zwar redlich, alle wichtigen Fragen anzutippen, bleibt aber schon aus Platzgründen häufig an der Oberfläche. Wer sich ernsthaft für die Geschichte Kolumbiens interessiert, wird auch weiterhin auf das alte Wagenbach-Buch von Meschkat/Rohde/Töpper nicht verzichten können. Dilgers 25-Seiten- Skizze kann da wenig Neues bieten.

Was der Autor zur „Anatomie der Gewalt“ zusammenträgt, ist lesenswert, auch das Kapitel zur aktuellen Lage des Landes gibt einen brauchbaren Überblick. Sicherlich gehört es mit zum Schwierigsten, das Phänomen der bis heute andauernden violencia zu erklären. Nicht umsonst hat sich in der kolumbianischen Soziologie zu dieser Frage eine eigene Forschungsrichtung, die sogenannte violentologia, entwickelt, und selbst sie wird immer wieder von neuen Varianten der Gewalt überrascht. Da ist es Dilger nicht vorzuwerfen, daß auch er das Phänomen eher beschreibt als erklärt. Auch Gabriel Garcia Marquez kann seinen neuen Roman „Nachricht von einer Entführung“ nur mit dem Ausruf „Que barbaridad – so ein Wahnsinn“ – beschließen.

Was man Dilger allerdings vorwerfen kann ist, daß das andere Kolumbien, das, was jenseits der Politik die Faszination dieses Landes und dieser Gesellschaft ausmacht, sie um- und antreibt, einfach zu kurz kommt.

Gewiß, eine Landeskunde ist nicht zum Schwelgen da, soll keine Werbetrommel rühren. Doch gehören nicht die Eigenheiten von Essen und Trinken, Tanz und Musik, Handwerk und Fiestas, Architektur und kulturellem Leben und schließlich des Umgangs der Menschen untereinander nicht mindestens ebenso zum Wesen eines Landes wie die Tatsache, daß man einander gelegentlich totschießt? Dilger hakt all dieses lieblos und hurtig ab, es scheint, als habe er über der Archivarbeit einfach vergessen, sich auch mal hinaus ins kolumbianische Leben zu stürzen. So kann man sein Buch zwar als kurze Einführung in die Probleme des Landes durchaus empfehlen, den versprochenen „fundierten Einblick in die Wirklichkeit, die Alltäglichkeit des Andenstaates“ aber gibt es nicht. Die Wirklichkeit Kolumbiens ist mehr als die Summe seiner Probleme.

„Und dennoch, angesichts von Unterdrückung, Plünderung und Verlassenheit ist unsere Antwort – das Leben“, zitiert Dilger eingangs Garcia Marquez. Die Landeskunde über das Leben in Kolumbien muß er allerdings noch schreiben. Thomas Pampuch

Hella Braune/Frank Semper: „Kolumbien (Reisekompass)“, Sebra- Verlag, Hamburg, 1996, 456 Seiten, 42,80 Mark

Gerhard Dilger: „Kolumbien“, Beck'sche Reihe Länder, 1996, 146 Seiten, 22 Mark