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Umsteigen, bitte!

■ Fahrgemeinschaften sind in Planspielen zwar machbar, in der Praxis jedoch nur schwer zu organisieren. Vorbildliche Beispiele für "Mobilitätsmanagement" in Betrieben. Devise: Die ersten Erfolge müssen jetzt ausgebaut werd

Er rollt und rollt und rollt ... der Nokia-Expreß. Längst hat sich im mittleren Ruhrgebiet dieser Name für die halbstündliche Bahnverbindung zwischen Bochum und Gelsenkirchen eingebürgert. Möglich gemacht hat diese Nahverkehrslinie eine Zusammenarbeit zwischen dem finnischen Elektronikunternehmen und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR).

Bevor im September 1993 die rollende Kooperation begann, wurden die Trasse, die an der Strecke liegenden größeren Bahnhöfe, Haltestellen und die eingesetzten Akkumulatoren-Triebwagen mit einem Gesamtaufwand von 750.000 Mark renoviert und überholt. Daß Nokia sich dieses Nahverkehrs-Engagement einen sechsstelligen Betrag für die Sanierungsarbeiten kosten ließ, hatte für den damaligen Personalchef Klaus-Peter Gras handfeste Gründe: „Für uns ist das eine interessante Sache, weil wir einer der größten Betriebe sind und das mit einem hohen Anteil Frauen, für die es wichtig ist, gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden zu sein.“

Dank dieser „Public-Privat- Partnership“ konnte nicht nur die Verbindung gerettet und ausgebaut werden: Die Zahl der täglichen Benutzer kletterte inzwischen von 800 auf über 3.000. Auch wenn Nokia die Fernsehgeräteproduktion am Standort Bochum Anfang Oktober eingestellt und 750 Beschäftigte entlassen hat, wolle der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr die Linie auf alle Fälle beibehalten. Das kündigte Unternehmenssprecher Diethard Blombach an.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Verkehrsverbund und Nokia ist eines von 17 „vorbildlichen Beispielen für betriebliches Mobilitätsmanagement“, das Klaus Schäfer-Breede vom Bremer Büro für Verkehrsökologie (BVÖ) für eine Untersuchung des Verkehrsclubs Deutschland dokumentiert hat. „Wir hätten sicherlich achtzig, neunzig weitere gelungene Ideen und Aktionen finden können, womit sich die Zahl aber auch schon erschöpfen dürfte“, zieht der Verkehrsfachmann eine Zwischenbilanz. Für ihn gibt es angesichts dieser Zahlen jedoch weder „Anlaß zum Frohlocken noch Gründe, die Hände vor Verzweiflung über dem Kopf zusammenzuschlagen“. Die Devise heißt, die ersten Erfolge auszubauen.

Nachdem in den USA verschiedene Bundesstaaten, Anfang der neunziger Jahre eine schärfere Gesetzgebung hinsichtlich der Luftreinhaltung beschlossen hatten und Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten verpflichtet wurden, betriebliche Verkehrspläne aufzustellen, erwachte auch hierzulande das verstärkte Interesse an Mobilitätsberatung und Mobilitätsmanagement. Auch in den Niederlanden müssen Betriebe laut Gesetz seit einigen Jahren eine Mobilitätsplanung für ihre Mitarbeiter nachweisen. Welche Umweltentlastung allein von einer besseren Pkw-Auslastung und Bildung von Fahrgemeinschaften zu erwarten ist, hat die Klima-Enquetekommission des Deutschen Bundestages in einer ihrer Studien festgehalten: „Gelingt es, die Sitzplatzauslastung zu erhöhen, entspricht dies einer Verminderung der Kohlendioxid-Emissionen des Verkehrs um 25–30 Prozent.“

Doch allein die Bildung von Fahrgemeinschaften – in der Praxis sind sie ohnehin schwieriger zusammenzustellen als bei Planspielen – umfaßt längst nicht den betrieblichen Mobilitätsservice, den beispielsweise der Verkehrsexperte am Dortmunder Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Nordrhein-Westfalen (ILS) für unverzichtbar hält. Heinz Klewe: „Hier müssen endlich die Nahverkehrsunternehmen aufwachen und Angebote für diese Klientel machen.“ Und das schon aus eigenem, existentiellem Interesse: Nach Vereinbarungen in Brüssel wird es EU-weit zu mehr Wettbewerb im Nahverkehrsbereich kommen. Einzelne Linien müssen künftig ausgeschrieben werden, ein Preiskampf zwischen öffentlichen und privaten Carriern ist somit unausweichlich. Trotz dieses Drucks erwartet Heinz Klewe nicht, daß die Nahverkehrsbetriebe gleichsam über Nacht ihre Unternehmensphilosophie ändern: „Es dauert schon etwas, bis sich aus einem Wild- ein Hausschwein entwickelt.“

Wenn die Nahverkehrsunternehmen glauben würden, allein durch den Aushang eines Fahr- und Linienetzplanes würden die Beschäftigten schon in die Busse umsteigen, sei der Weg in die Sackgasse programmiert. Heinz Klewe: „Der Service beginnt mit einer Mobilitätsanalyse, dem Erstellen individueller Fahrpläne, Kosten- und Zeitvergleichen zwischen Autonutzern und denen des öffentlichen Personennahverkehrs und reicht bis zur Einführung einer Zielbuslinie für Gewerbegebiete oder Car-Sharing-Angeboten.“ Weitere Chancen für die Nahverkehrsbetriebe sieht Klewe in der Software-Entwicklung, mit der die Betriebe dann ihren Mitarbeitern selbst einen Mobilitätsservice anbieten können, oder in langfristigen Beratertätigkeiten. Wichtig sei, daß die Bus- und Bahnbetreiber auf die Unternehmen zugehen.

Genau das plant Hermann Zemlin, Chef der Wuppertaler Stadtwerke (WSW). Bereits im Frühjahr 1995 eröffneten die WSW als eines der bundesweit ersten Nahverkehrsunternehmen eine Mobilitätszentrale, in der mittlerweile sechs Kundenberater fast rund um die Uhr Informationen über Fahrzeiten, Fahrpläne und Tarife geben. Aber auch Reisepläne mit öffentlichen Verkehrsmitteln werden zusammengestellt, und der lokalen Car-Sharing-Initiative verhilft man zum Aufschwung: „Für uns ist das ein Baustein, mit dem wir uns vom ehemaligen Lohnkutscher zum Mobilitätsdienstleister entwickeln wollen.“ Sechs Mobilitätsberater will Zemlin jetzt auch in die Betriebe an der Wupper schicken: „Wir wollen nicht nur den Service aus unserer Mobilitätszentrale in die Unternehmen bringen, sondern auch mit gezielten Angeboten für einzelne Betriebe neue Kunden gewinnen.“ WSW-Chef Zemlin hat sich einiges vorgenommen: Die Zahl der Dauerkarteninhaber will er von derzeit 70.000 auf über 100.000 ausbauen: „Wir brauchen diese Steigerung allein schon, um die demnächst mit der Teilliberalisierung des Strommarktes wegfallenden Einnahmen aus der Industriestromversorgung soweit wie möglich kompensieren zu können.“ Bei welchen Betrieben die Wuppertaler Stadtwerke und andere Nahverkehrsunternehmen ansetzen müssen, daran läßt die Studie vom Bremer Büro für Verkehrsökologie keinen Zweifel: „Bundesweit haben wir 2.000 Großbetriebe, die zwar nur 0,1 Prozent der Gesamtzahl an Arbeitsstätten ausmachen, wo aber 13 Prozent aller Beschäftigten arbeiten“, erklärt BVÖ-Geschäftsführer Schäfer-Breede. Ein Mobilitätsservice könnte, so die BVÖ-Einschätzung, den Anschub dafür geben, daß die großen Unternehmen beginnen, über eigene Lösungen nachzudenken.

Wie schwer es ist, Mobilitätsangebote für kleinere Betriebe zu organisieren, mußte in den vergangenen beiden Jahren die Mobilitäts- und Verkehrsberatung (MOVE) im Duisburger Stadtteil Ruhrort erfahren: „Unsere Idee, einen betriebsübergreifenden Pendler- Pool aufzubauen, konnten wir nicht umsetzen“, bedauert MOVE-Sprecher Siegbert Gossen. Nicht nur unterschiedliche Arbeitszeiten haben die Pool-Gründung verhindert: „Die unterschiedlichen Interessen der Mitfahrenden, von dem einer nach Schichtende noch einkaufen wollte, der andere aber zum Arzt mußte, entpuppten sich schnell als die größten Hemmnisse.“

Mitspielen bei der Umsetzung eines betrieblichen Verkehrskonzeptes muß deshalb nicht nur das örtliche Nahverkehrsunternehmen, sondern auch die Stadtverwaltung. „Ich kann mir durchaus vorstellen, daß eine Kommune auf die Stellplatzablöse bei Schaffung von neuem Parkraum verzichtet, wenn das Unternehmen seinen Mitarbeitern ganz oder teilweise ein Jobticket für den öffentlichen Nahverkehr finanziert“, deutet Heinz Klewe vom Dortmunder ILS-Institut neue Formen zum Ausbau des Mobilitätsmanagements an. Gerade die betrieblichen Parkflächen in den Innenstädten seien fast unbezahlbar oder hätten einen bedeutenden Immobilienwert: „Viele Unternehmen werden bei entsprechenden Rahmenbedingungen sicherlich mit spitzem Bleistift abwägen, was wirtschaftlich günstiger für sie ist: Parkplätze oder Jobtickets.“

Bei allen Anstrengungen, den betrieblichen Mobilitätsservice auszubauen, müßten Verkehrspolitiker, -planer und -erzieher aber zurück zu den Wurzeln: „Um ein neues Mobilitätsbewußtsein zu schaffen, ist unbedingt eine bessere Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen notwendig“, so der Wunsch von Heinz Klewe. Der mühsame Weg, die Beschäftigten vom Auto in die öffentlichen Verkehrsmittel zu lotsen, bilde schließlich den Schlußpunkt hinter einer Reihe von vorangegangenen Fehlentwicklungen. Ralf Köpke

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