„Ehrlicher, anständiger Konsens“ gesucht

■ Bundesweites Metaller-Treffen diskutiert die Zukunft des Flächentarifvertrags

Sprockhövel (taz) – Mucksmäuschenstill ist es im Saal, als Walter Riester das Wort ergreift. Gespannt verfolgen die knapp 500 Vertrauensleute und Betriebsräte der IG Metall die Replik ihres zweiten Vorsitzenden. Gerade noch hatte Klaus Knuth aus Flensburg die „irritierenden Bemerkungen von führenden Leuten von uns“ kritisiert und an die Hauptamtlichen appelliert, „ein bißchen mehr zu riskieren“. Noch deutlicher die Schelte durch Thomas Freund aus Stuttgart: „Die Kollegen erwarten“, so der Mercedes- Betriebsrat mit Blick auf Riester, „daß 100 Prozent Lohnfortzahlung auch 100 Prozent im Geldbeutel bedeutet.“ Er verstehe nicht das Gerede über Kompromisse und frage sich, warum die IG Metall die noch nie dagewesene Welle des Protestes nicht nutze, „um das zu zerschlagen, was es gar nicht geben dürfte“.

Nein, ganz ohne Mißtrauen an der Standhaftigkeit des IG-Metall- Vorstandes sind die betrieblichen Funktionäre nicht. Um so konzentrierter hören sie Riester und später Klaus Zwickel zu. Die beiden weichen vor der Kritik keinen Millimeter zurück. „Die Mehrarbeit nicht bei der Berechnung der Lohnfortzahlung einzubeziehen, war unser einziges Angebot“, sagt Riester – und dabei werde es bleiben. Diesen Spielraum zu nutzen, sei ständige Politik der IG Metall, und deshalb „würde ich das immer wieder machen“. Weitere Zugeständnisse habe es während der Verhandlungen nicht gegeben und werde es auch in Zukunft nicht geben. Im Saal stößt diese Klarstellung auf breite Zustimmung. Nur wenige verweigern den Applaus.

In dieser Versammlung zählt am Ende nur das bessere Argument. Gern beklatschen die anwesenden Metaller kämpferische Parolen, wonach es mit den „Arbeitsplatzvernichtern, die uns täglich in die Fresse hauen, kein Bündnis für Arbeit geben könne“ – aber schon im nächsten Augenblick äußern sie ebenso leidenschaftlich ihre Sympathie für den „ehrlichen, anständigen Konsens“. Gewerkschafter auf der Suche. Die einen gehen scharf mit Zwickel ins Gericht, dessen Bündnis-für-Arbeit-Initiative dafür gesorgt habe, „daß wir in die Standortfalle getappt sind“. Andere, so Anne Rieger aus Reutlingen, bescheinigen Zwickel, die Gewerkschaft damit zumindest publizistisch in die Offensive gebracht zu haben.

Günter Schachner aus Weulheim weiß von zwei krisengeschüttelten Betrieben in seiner Verwaltungsstelle, deren Geschäftsleitung die örtliche IG Metall bedrängt, die Anpassung nach unten mitzutragen, um die Pleite abzuwenden. Mit einem klaren Nein ist es da nicht getan. „Wo aber ist für uns die Deadline“, fragt Schachner in den Saal.

Nur auf die Einhaltung des Tarifvertrages zu pochen reicht vor Ort schon lange nicht mehr. Die Erfahrungsberichte aus den Verwaltungsstellen lassen Zweifel nicht zu: Wenn der Arbeitsplatz gefährdet scheint, sind viele Beschäftigte zu großen Einbußen bereit, sind Tarifverträge nicht zu halten. Weil die IG Metall aber auch in solchen Situationen „Antworten auf konkrete Fragen“ liefern müsse, seien Veränderungen bei den Flächentarifverträgen „dringend erforderlich“, so Horst Manja aus Duisburg. Dieser Zug ist nicht mehr aufzuhalten. Für Aufregung sorgte in Sprockhövel ein Thesenpapier des Dortmunder IG-Metall-Bezirksbüros. Dort werden nicht nur Öffnungsklauseln im Sanierungsfall empfohlen, sondern auch die Zustimmung zu einem Lohnmodell signalisiert, das es Betrieben erlaubt, zwischen der Zahlung gewisser Einkommensbestandteile und „der Ergebnissituation des Unternehmens“ eine „Verbindung“ zu schaffen. Eine Deadline, die vielen Metallern nicht schmeckt. Walter Jakobs