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Fisch in faschistisch

Bergungsarbeiten an der deutschen Geschichte: Johann Kresniks „Riefenstahl“ in Köln  ■ Von Mariam Niroumand

Etwas beklommen, so schien es, standen die Leute noch eine Weile im Foyer des Kölner Schauspielhauses herum, bevor sie dann schließlich hineinschlichen, wie in einen Darkroom. Es tut zwar nicht mehr weh, auch Kresnik nicht, aber wer weiß, wieviel blutige Steaks und zuckende Schöße heute zu vergewärtigen sind. Und trotzdem. „Wie geht's?“ „Muß ja!“

Nun, mit einigen kurzen Gesten hat Kresnik die Lage entspannt und trotzdem gleich ins Zentrum der Angelegenheit geführt. Riefenstahl (Barbara Petritsch) sitzt als Golden Girl im hellblauen Kostüm auf einer Anhöhe am Schneidetisch, aus dem es sie fast behaglich anflimmert und knistert. Wie eine Wahrsagerin in ihre Kugel spricht sie zu ihrem dusseligen Gefährten Horst Kettner: „Und die Fische, die hätte ich auch faschistisch gefilmt, wie den Reichsparteitag – wohl weil das Wort – Fisch – in faschistisch steckt? Und die Nuba, die hätte ich von hinten filmen sollen, damit man ihre Geschlechtsorgane nicht sieht, ha! Denn so, wie ich es gemacht habe, war es ja faschistisch! Nuba/Nazi – fängt beides mit N an, na also!“

Susan Sontag, deren Kultaufsatz „Faszinierender Faschismus“ hier eine späte Ridikülisierung erfährt, schwebt gegen Ende der Aufführung auch höchstselbst noch mal an Wolfsketten herab, um die Schwäche des Arguments im Streitgespräch mit der abgeklärten Riefenstahl um so deutlicher hervortreten zu lassen: Faschistisch sei die Kunst der Leni Riefenstahl – von den frühen Bergfilmen über die großen Nazi-Epen wie „Triumph des Willens“ und die Olympiafilme „Fest der Schönheit“ und „Die Götter des Stadions“ bis hin zu den Nachkriegsfilmen über die Nuba – in ihrer Sehnsucht nach dem Höheren, der Feuerprobe durch das Elementare, der Huldigung von Herrschaft und Unterwerfung.

Man hätte auch einfach sagen können, daß dies alles Charakteristika von „unterkomplexen“, spannungsarmen Filmen sind – wie Fritz Lang welche machte oder Walt Disney –, und hätte es dabei belassen können. „Ich bin absolut harmlos“, ruft die Riefenstahl bei Kresnik, und es liegt plan zutage. Aber weil man stets raunend nach den gefährlichen „hidden persuaders“ suchen mußte, verschwanden die Filme im Giftschrank, und die Filmtheorie – um Erklärungen des Gegenstands sowieso verlegen – umschlich sie mit raunender Fasziniertheit. Heute, sagt Leni Riefenstahl ausgerechnet in einem Kresnik-Stück, habe sich der Gegenstand vor die Darstellungsweise geschoben. „Ich hätte euch auch eine Essiggurke so abgefilmt, daß euch Hören und Sehen vergangen wäre. Aber es sollte Adolf Hitler sein. Das Blöde an meiner Karriere war, es war alles echt.“

Der Mann hat ja Witz! Kresnik versieht die achthundertseitige Autobiographie der Riefenstahl mit der bitter nötigen Ironiekorrektur. Bergungsarbeiten an der deutschen Geschichte. „Im Theater kenn' ich mich nicht aus“, sagt Riefenstahl, „ich weiß nicht, ob das Licht gut ist, ob das Licht für mich gut ist, meine ich!“ Sie moppelt so über die Bühne, scheucht ihre trotteligen Gesellen, die ständig wichtigen Gesichts Überladungen von Filmrollen hin und her bugsieren, und landet schließlich unter einer Schneedecke aus weißem Tüll. Einer wühlt sich jodelnd zu ihr durch. „Luis Trenker, nehm' ich an? Oder Adolf Hitler?“ „Dös bin I“, „Bös sind Sie?“

Das Merkwürdige ist, daß es Kresnik gleichzeitig gelingt, Riefenstahls ästhetische Interessen, deren kitschige, expressionistische oder neusachliche Wurzeln wirklich herauszupräparieren. Das wilde Mädchen mit den nackten Füßen, das die ehemalige Tänzerin Riefenstahl in „Das blaue Licht“ spielte, klettert ebenso durch die Zirkuskuppel wie eine Dame im Ufa-Kostüm, die einen Kabarettext spricht. Die Balladenform hätte sie interessiert, aber eben auch „Schneewittchen“ oder die Tänze der Anita Berber, allerdings ohne das Laszive.

Sie wollte immer Penthesilea sein, aber das Projekt kam nie zustande. Sie träumte von einem Mann, den sie „Schneefloh“ nannten. Goebbels, Hitler und wie sie alle hießen, stellten ihr erfolglos nach, behauptet sie. Es ist viel Mädchenleid in ihren Kurzberichten, aber kaum Larmoyanz: „Marlene hat man geschminkt, damit sie weich und schön aussieht, mich hat man geschminkt, damit man die blauen Erfrierungsflecken in den Bergen nicht sah.“ Hollywood scheint nur als ferne Möglichkeit im Guckkasten auf, wo auch Amazonen, Fische, Livrierte oder schließlich Wölfe auftreten.

Wo Kresnik draufsteht, muß auch Kresnik drin sein. Naturgemäß kommt es schließlich doch zu kurzen Fleisch-und-Blut-Einlagen, wo rohe Steaks die besten Freunde eines Mädchens sind. Auch wendet sich das Ganze in der zweiten, deutlich verlangsamten Hälfte in Richtung Frauenpassion, wie schon in seinen Stücken „Ulrike Meinhof“ oder „Rosa Luxemburg“; da nähert er sich den amerikanischen Feministinnen, auf deren Filmfestivals die Riefenstahl längst zur Ikone neben Shirley Clarke oder Agnes Varda avancieren konnte. Auch Madonna hat sich ja übrigens für die Rechte an ihrer Autobiographie interessiert.

Aber damit ist nichts bewiesen und niemand überführt. Unzählbar waren die Möglichkeiten, hier höchst peinliches Tanztheater zu machen, mit unter der Bühne sich windenden KZ-Häftlingen, auf dem Bildschirm vorbeiziehenden Ewigen Juden oder ausgedehnten Sexszenen mit Hitler. Kresnik hat diesmal spürbar Verzicht geleistet; ein entspanntes, hochamüsiertes Publikum dankte ihm und der Hauptdarstellerin mit großer Begeisterung.

„Riefenstahl“. Inszenierung und Choreographie: Johann Kresnik. Musik: Livio Tragtenberg. Kostüme: Penelope Wehrli. Mit: Barbara Petritsch, Friederike Bellstedt, Athol Farmer, Jan Schütte, u. a. Kölner Schauspielhaus vom 4.–6. November, 8.–11. November sowie 13.– 17. November.

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