■ Kommentar
: Rohrkrepierer

Weiß Innensenator Jörg Schönbohm noch, was er will? Zumindest nach seinem Amtsantritt schien es so, als ob am Fehrbelliner Platz andere Zeiten anbrechen könnten. Dort präsentierte sich ein politischer Stratege, bei dem, anders als bei seinen unseligen Vorgängern Kewenig und Heckelmann, das Denken nicht zugunsten des Polizeiknüppels abgedankt hatte. Ein diskursfähiger Konservativer als Bereicherung für Berlin, der zu wissen schien, daß dem inneren Frieden der Stadt angesichts der vielfältigen Brüche und Rollenveränderungen eine besondere Bedeutung zukommt. Nach einem Dreivierteljahr ist von diesen Hoffnungen nichts übriggeblieben. Schönbohm hat sich vielmehr eingereiht in die Riege jener, die Law and order in alter Weise buchstabieren. Sollte dem Innensenator angesichts des Beifalls aus interessierten Kreisen das eigene Koordinatensystem verlorengegangen sein – und das Wissen, daß frühere Innensenatoren mit Gewalt regelmäßig das Gegenteil von dem erreichten, was sie erstrebten? Dem selbsterklärten Ziel, als Saubermann im Bereich der Inneren Sicherheit den Bonnern die Angst vor der Chaotenstadt Berlin zu nehmen, läuft die jetzt verfolgte Eskalationstrategie deutlich entgegen.

Die Räumung der East Side Gallery mag Senator Schönbahm angesichts der auch im linken Lager vorhandenen Isolierung der Wagenburgler als leichter Sieg erschienen sein. Die unter Vorwänden und Lügen vollzogenen Häuserräumungen, die nachhaltige Kriminalisierung von Besetzern und die freche Behauptung, die Opposition im Parlament wirke als Helfershelfer für gewalttätige Aktionen, aber finden nicht im luftleeren Raum statt. Ein solches Vorgehen vergiftet das politische Klima und gefährdet den Frieden in der Stadt. Unseliger Höhepunkt der Schönbohmschen Propaganda ist die Behauptung, in den geräumten Häusern sei ein Raketenwerfer gefunden worden. Hier wird Stimmung gemacht wider besseren Wissens. Denn Polizeiführung und Innensenator wissen, daß dieser Raketenwerfer keinesfalls funktionstüchtig war. Wer solcherart Politik macht, verliert jeden Handlungsspielraum. Schönbohm scheint das über seinem Feldzug vergessen zu haben. Gerd Nowakowski