Wolkenkratzer am Weserwehr

■ Zukunftsmusik: Die Kulturwerkstatt Westend auf dem Weg zum virtuellen Stadtplanungsbüro

Roland springt aus seiner steinernen Fassung, schwingt seine Stola und klaubt zwei Tickets vom Boden. „Ballonfahrt gratis“ und „Weserfahrt gratis“ steht drauf - wer würde da nicht einsteigen!

Aus der Luft sieht alles ja ganz schön aus, aber am Weserufer widerfährt Rolands Augen Ungeahntes: verödete Docks und klobige Hochhausquader, Beton und Blechlawinen zu beiden Seiten.

Rolands virtuelle Weserfahrt ist ein Projekt der Kulturwerkstatt Westend. Es heißt „Bremen, Stadt am Fluß - Stadt im Fluß“ und wurde jetzt im Café 46 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. „Bremen sitzt mit dem Hintern am Fluß, die Stadt ist vollkommen flußabgewandt“, mahnt Peter Beier vom Trägerverein der Kulturwerkstatt. Um das städtische Potential der Weser wieder bewußt zu machen, haben Werkstattmitarbeiter Claudius Joecke und Michael Lund zehn markante Stadtansichten auf CD-Rom digitalisiert.

In Lunds Drehbuch schwebt die ComputeranimateurIn mit dem Stadtwächter zunächst im roten Heißluftballon über der Altstadt, ehe sie ins Boot steigt und vom Weserwehr zum Hafen schippert. Dabei kann sie am Brill, im Stephanibereich, am Osterdeich oder anderswo per Mausklick anlegen und in einem historischen Bremen-Almanach blättern. „Sieh mal, die alte Malzbrücke“, sagt eine Interessentin beim Durchklicken, von Publikum umringt, „kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, daß die da mal stand“.

Solche Reminiszenz will Geschmack machen auf das eigentliche Projekt: Stadtgestaltung für jedermann, am Bildschirm und per Mausklick. Jeder Stadtansicht liegt deswegen ein zweites Album bei. Es enthält Objekte, die sich vom rechten Bildschirmrand per Computermaus in das Foto transportieren lassen. Lund: „Ich habe recht willkürlich von anderen CDs einige frei erhältliche Motive bei mir eingescannt“.

Das Repertoire ist dementsprechend kunterbunt: ein romanischer Klostergang, eine Pappelallee, terrassenförmig in den Hang gebaute Reihenhäuser, eine Statue, einige Wolkenkratzer. Schwupp, da rutscht der 265 Meter hohe Transamerica-Tower aus San Francisco in die Stadtsilhouette. „Paßt doch prima zu den Domspitzen“, entfährt es der Collagistin spontan.

Konkret und formvollendet ist das Ganze wohl noch nicht. „Die Leute sollten erst mal Lust am Ausprobieren kriegen, ja spielerisch mit ihrer Stadt umgehen lernen,“ erklären die Macher.

Leider fand die Aktion im Café 46 nur einmal statt. Derzeit liegen Lunds CD-Roms in einer Schublade der Angestelltenkammer. Möglicherweise geht die 32.000-Byte große Datei aber schon in wenigen Wochen gemeinsam mit dem Bürgerinformationssystem „bremen.de“ online. Derweil bereitet Lund den Schritt vom Collagieren am Schreibtisch zum wirklichkeitsgetreuen Gestalten vor: ein CompterProgramm mit zahlreichen Zeichenfunktionen und perspektivischem Einfügen von geometrischen Grundfiguren, die sich beliebig verändern, dehnen und pressen lassen sollen.

Lund und Joeckel sind auch auf Kontaktsuche. „Kürzlich hat der BUND angefragt, ob die BermerInnen so nicht ein neues Verkehrswegesystem diskutieren können“, freut sich Lund.

Ein anderer, elementarer Kontakt ist der Senat, der dem Projekt während der letzten Legislaturperiode seine finanzielle Unterstützung zusagte. Was die neuen Stadtoberen von der virtuellen Stadtplanung halten, ist noch deren Geheimnis.

A. Mielisch