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Gib blauen Elefanten keine Chance

■ Im Berliner Amerika Haus schlugen sich tausend Menschen die Wahlnacht um die Ohren und feierten mit Kalifornien-Wein ihren Favoriten, der hier gar 81 Prozent errungen hätte

Die roten Esel sind deutlich auf dem Vormarsch. Auf der riesigen USA-Karte im Berliner Amerika Haus erobert das Wappentier der Demokraten einen Ostküstenstaat nach dem anderen. Nur vereinzelt heftet eine Mitarbeiterin einen blauen Elefanten auf die Karte, wenn der Republikaner Dole einen Bundesstaat für sich gewinnen konnte. Die knapp tausend Gäste auf der Wahlparty der amerikanischen Botschaft lassen sich dadurch nicht ihre Gewißheit nehmen: Niemand hier glaubt auch nur im entferntesten an einen Wahlsieg von Bob Dole.

Für richtigen Nervenkitzel sorgt an diesem Abend nur der Grusel- Thriller „Die Maske“, der die Zeit bis zu den ersten Wahlprognosen überbrücken soll. Unter den allgegenwärtigen blauweißroten Girlanden und Luftballons kämpft eine Talkrunde amerikanischer und deutscher Journalisten tapfer gegen das Partygemurmel. Zu fettigen Hühnchenschenkeln gibt es Berliner Bier, kalifornischen Weißwein und die unvermeidliche braune Brause.

Nicht nur die rechte Spannung fehlt in dieser Wahlnacht: Auch die Politprominenz ist dünn gesät, schlägt sich doch der gesamte Berliner Senat die Nacht mit einer erneuten Sparklausur um die Ohren. Nur die zahlreichen Berliner Bündnisgrünen erweisen sich als wahre Amerikafreunde.

Die bündnisgrüne Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Renate Künast, hat bei einer Testwahl unter den Gästen des Amerika Hauses „aus Not“ für Clinton gestimmt. Gerade von einer zweiwöchigen Parlamentarierreise durch die USA zurückgekehrt, stellt sie nüchtern fest: „Egal, mit wem ich gesprochen habe, niemand erwartet, daß Clinton in der zweiten Amtszeit wieder stärker nach links rückt oder nennenswerte Reformprojekte auf den Weg bringt.“

Die Probeabstimmung hat Clinton übrigens haushoch gewonnen: Er erhält 196 von 227 abgegebenen Stimmen und erzielt damit satte 81,3 Prozent. Bob Dole erhält gerade mal 12 Stimmen, 7 Stimmen weniger als Ross Perot.

Als die Wahlprognosen gegen 3 Uhr morgens Clinton als Sieger küren, kommt Jubel auf. Doch Begeisterung will sich nicht einstellen. „Ich bin erleichtert, daß Dole nicht gewonnen hat“, sagt der amerikanische Austauschstudent Thomas Baglione. „Vor vier Jahren war ich euphorisch über Clintons Wahlsieg. Ich dachte, jetzt verändert sich alles. Inzwischen bin ich realistischer.“ Daß die Demokraten den Kongreß zurückerobern könnten, hatte Baglione ohnehin nicht erwartet. Nur einmal hagelt es in dieser Nacht Buhrufe: Jesse Helms hat zum zweiten Mal gegen den afroamerikanischen Demokraten Gantt gewonnen. „Das ist ein Schock“, sagt die 22jährige Austauschstudentin Kati Golnik.

Kurz nach 3 Uhr prangen auf der Landkarte 22 rote Esel und 7 blaue Elefanten. Auf einem verwaisten Tisch hat jemand einen kleinen Plüschesel in Siegerpose plaziert – auf dem Rücken eines Pappelefanten. Dorothee Winden

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