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Auf Kosten der Kranken

■ Die dritte Stufe der Gesundheitsreform

In einem sind sich alle einig: Es droht die Zwei-Klassen-Medizin. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer sieht sie kommen, falls seine Reformen nicht klappen. Für Seehofers Gegner – die Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen und Patientenvereine – kommt sie auch, wenn es klappt. Recht haben beide. Nur gibt sich Seehofer zu naiv, wenn er glaubt, daß die Reformen in seinem Sinne umgesetzt werden. Denn der Gesetzentwurf bietet einen Rahmen, in dem sich Ärzte und Krankenkassen auf Kosten der Versicherten schadlos halten können.

Zwei-Klassen-Medizin bedeutet, daß sich der erfolgreiche Jungunternehmer die bestmögliche Versorgung zu entsprechend hohen Preisen kaufen kann, während die Renterin mit 1.500 Mark brutto sich gerade die Mindestversorgung erlauben kann. Von den chronisch Kranken, die hohe Kosten verursachen, ganz zu schweigen.

Mit dem gestern im Kabinett verabschiedeten Entwurf verkommt Gesundheit zur Luxusware. Sie wird so käuflich wie ein Auto. Das ist das Ende der bisher gültigen Solidargemeinschaft aller Versicherten. Denn versichert wurde bisher nicht nach Risiko, sondern nach individueller Leistungsfähigkeit – kurz: nach Einkommen. Die Reichen zahlten für die Ärmeren, die Gesunden für die Kranken, die Aktiven für die Rentner.

Bald zahlt jeder für sich, so gut oder schlecht er gerade kann. Dann herrscht „freier Wettbewerb“ nicht nur unter den Kassen, sondern auch unter den Ärzten, die ihr Honorar mit dem Patienten aushandeln können. Nur: Es gibt keinen solidarischen Wettbewerb. Selbst Arbeitsminister Norbert Blüm fürchtet, daß in Zukunft Heilmittel, wie Infusionen, von sozial Schwachen aus der Sozialhilfe oder der Pflegeversicherung bezahlt würden. Das ist kein Sparen, sondern ein Verlagern von Kosten.

Der einzig mögliche Ausweg aus der Kostenexplosion wäre das, was der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, vorgeschlagen hat: eine nationale Krisenkonferenz. Parteien, Kirchen, Ärzte und Kassen müssen eine komplette Reform der Gesundheitsreform entwickeln, die vieles verändert, aber am Solidaritätsprinzip festhält. Nur so kann die Zwei-Klassen-Medizin noch verhindert werden. Doch die Aussichten dafür sind gering.

Florian Gless

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