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Neue Ideen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit

Kongreß „Zukunft der Arbeitsgesellschaft“ diskutiert wider die zerstörerische Marktlogik  ■ Aus Rendsburg Clemens Heidel

Alle reden vom Sparen, nur Heide Simonis, Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin, will sich diesem Bekenntnis nicht anschließen: Steuerliche Abzugsmöglichkeiten für allgemeinnützige Arbeit sei denkbar, verkündete sie vorgestern auf dem Kongreß „Zukunft der Arbeitsgesellschaft“ in Rendsburg.

„Warum sollte ein arbeitsloser Kfz-Mechaniker nicht die Fuhrparks gemeinnütziger Verbände warten können? Oder eine arbeitslose Psychologin Drogenkranken ohne Therapieplatz wieder auf die Beine helfen dürfen?“ Simonis kam gar nicht mehr aus ihren Beispielen heraus. Die gesellschaftliche Arbeit solle, so die Ministerpräsidentin, zukünftig weder als Abstellgleis noch als Sackgasse gesehen werden, „sondern als normale Alternative zu einem Arbeitsplatz in einem Unternehmen oder in einer Verwaltung“.

Zu ihrer Rückendeckung flog ihre Staatskanzlei eigens aus den USA den Wirtschaftskritiker Jeremy Rifkin in die schleswig-holsteinische Provinz ein. Für den Autoren mehrerer Bücher über die globalen Wirtschaftsentwicklungen ist die Förderung gemeinnütziger Arbeit der Königsweg aus der Massenarbeitslosigkeit. Rifkin liebt wie seine Gastgeberin eine deutliche Sprache: „Wir haben zwei Möglichkeiten – entweder wir stecken die Steuern in neue Gefängnisse oder investieren sie in gesellschaftliche Arbeitsplätze.“ Nach der landwirtschaftlichen und der industriellen Revolution seien wir mitten in der „dritten industriellen Revolution“.

Die Technik dränge, so Rifkin, jetzt auch in den Dienstleistungssektor vor. „75 Prozent aller Arbeitsplätze in diesem Bereich sind heute durch Computer ersetzbar.“ Doch wohin mit den Arbeitnehmern? Ein neuer, klassischer Arbeitsmarkt ist schließlich nicht in Sicht. Rifkin verlangt von den Unternehmern eine radikale Umverteilung: „Es ist absurd, daß die Unternehmen immer mehr Profite machen und gleichzeitig mit Sparargumenten die Menschen auf die Straße werfen. Der Produktivitätszuwachs durch neue Technologien muß mit den Arbeitnehmern geteilt werden, die Wochenarbeitszeit auf dreißig Stunden gesenkt, der Lohn erhöht werden.“

Ein idealistischer Spinner? Rifkin weist diese Charakterisierung seiner Vorschläge zurück: „Den Arbeitgebern bleibt nichts anderes übrig. Nur wenn die Arbeitszeit gerecht verteilt wird, bleiben Kaufkraft und damit die Absatzmärkte erhalten.“ 1929 erkannte diesen Zusammenhang schon Henry Ford, Erfinder der Montagestraße, angesichts der von ihm mitverursachten Massenentlassungen in seinem Automobilkonzern. Wenige Monate vor der Weltwirtschaftskrise fragte er seine Kollegen: „Wer soll denn noch meine Autos kaufen?“

Im Gegenzug sollen die Arbeitnehmer die freigewordene Zeit nach Rifkins Vorstellungen verstärkt für ehrenamtliche Tätigkeiten, vom Sportverein bis zur Altenpflege verwenden, um dadurch den aufgeblähten Staat zu entlasten. Anreize hierzu wären Steuersenkungen, die Einführung eines Sozialgehalts oder eine negative Einkommenssteuer.

Der Amerikaner versteht die hohe Produktivität und den damit verbundenen Überschuß an Arbeitskräften sogar als Chance: Man könnte aus dem nichtstaatlichen sozialen Bereich einen sogenannten „dritten Markt“ aufbauen. Nicht das Kapital wäre der Marktwert, sondern das Soziale. Würden sich alle ehrenamtlichen Organisationen zusammentun, hätten sie, so Rifkin, eine starke politische und wirtschaftliche Macht: „Ohne sie würde ein Land wie Deutschland innerhalb weniger Tage zusammenbrechen.“

Gar so deutlich wollte sich der auf die europäische Wirtschaftsentwicklung spezialisierte Professor Klaus Gretschmann von der Technischen Hochschule Aachen nicht profilieren. Die Idee des sozialen Sektors als abgetrenntem dritten Markt sei „in Deutschland nicht durchsetzbar“. Doch auch Gretschmann fordert Sozialeinkommen statt Sozialhilfe sowie die steuerliche Förderung von gesellschaftlicher Arbeit. Ein Gehalt, das sich aus weniger Arbeitsstunden für Unternehmen oder Staatsbetrieb und mehreren Wochenstunden für die Gesellschaft zusammensetzt, erscheint ihm in naher Zukunft realisierbar.

Heide Simonis bedankte sich am Ende der Tagung für die Anregungen. Sie werde weiterhin über „phantasievolle“ Zukunftskonzepte nachdenken: „Und wenn ich mich vom Chef des Rechnungshofes ohrfeigen lassen muß, wir probieren neue Wege zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit aus.“

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