„Das ist ein Hauch von Großstadt“

■ Seit Tagen strömen Touristen ins Tacheles und unterstreichen mit ihrer Unterschrift den Wunsch, das einzigartige Projekt zu erhalten

Männer mit Stockschirm wirkten im Tacheles immer schon, als hätten sie sich verlaufen. Zu zaghaft wandeln sie durchs bunte Treppenhaus, blicken zu neugierig hinter dunkle Türen, nur um festzustellen, daß es tatsächlich nur das Klo ist, was dort rauscht. Zu lange starren sie auch auf schräge Bilder, bizarre Lampen oder auf jene Leute, die wiederum so tun, als ob sie sich niemals hierher verlaufen würden und selbstbewußt am Becks-Bier nippen.

Seit die Kunde von der Räumung des Kunsthauses die Runde macht, scheint der Zustrom solcher Spezien größer denn je. Das Kunsthaus vereint sie, wie es so seine Art ist, gnadenlos auf Unterschriftenlisten. „Hallo, wir kommen aus Wernigerode. Wir hoffen, daß eure coole Hütte weiterhin stehenbleibt.“ Sie unterschreiben alle. Wer in diesen Tagen kommt, will, wenn er geht, daß das Tacheles bleibt. „Das ist hier ein bißchen was anderes als euer Hamburger Bahnhof.“ Manfred Saalbach aus Bielefeld schüttelt den Kopf und setzt seinen Namen auf die Liste. „Es ist irre, ich wollte mir das immer schon mal anschauen, wenn ich in Berlin bin.“ Ein Reiseführer hat den Geschäftsmann und seine zwei Freunde in das Kunsthaus gelockt. Das Unkonventionelle, die kreative Atmosphäre gefallen dem Trio. „Das ist für mich ein Hauch von Großstadt, wie ich sie mir vorstelle“, sagt Manfred Saalbach.

Daß er das Tacheles genaugenommen seit dem 1. November nicht mehr hätte betreten dürfen, kann er nicht verstehen. Khaled Kenawi, Mitglied im Verein des Tacheles, zeigt ihm das Papier der Oberfinanzdirektion. Murgas, der aus Spanien stammt und seit 1991 im Tacheles ist, hat in den vergangenen drei Tagen über 400 Unterschriften gesammelt. Die anderen Tacheles-Leute nicht minder.

Auch wenn es am Freitag keine Räumung geben wird – „der Druck soll nicht nachlassen“, sagt Murgas. Schließlich will er seinen Job als Filmvorführer nicht verlieren. „Vielleicht endet ja alles wie in einem Film mit Happyend. Aber nicht von alleine. Wir müssen dafür was tun.“

Seit von den neuen Konzepten, von den neuerlichen Gesprächen und Vor-Ort-Terminen die Rede ist, hat auch Khaled Kenawi wieder Hoffnung. Das Tacheles just an dem Tag räumen zu wollen, an dem hier das Hongkong-Festival eröffnet wird und hochgestellte Politiker von dort anreisen – das könnte sich Berlin ohnehin nie und nimmer leisten, meint er. „Doch wer weiß, was wird, wenn wir kulturpolitisch nicht mehr das Thema Nummer eins in der Stadt sind?“ Irgendwann in den langen Wintermonaten, fürchtet Khaled, könnte „dieser sauberkeitsfanatische Senator Schönbohm“ darauf kommen, „Gefahr im Verzug“ zu erklären. „Wenn das passiert, wenn geräumt wird, sind die Leute weg. Für immer.“ Kathi Seefeld, Berlin