: Einmal Bimbo sagen dürfen
■ „Black Out“: Ein Musiktheaterstück für Jugendliche, frei nach Shakespeares „Othello“, auf Kampnagel
Es gibt mindestens zwei Arten von Rassismus: Anderssein thematisieren und Anderssein leugnen. Und das Problem ist, daß es nichts dazwischen gibt. Das Stück Black Out, das gestern auf Kampnagel den Beifall einiger hundert Schülerinnen und Schüler erntete, setzt da an, wo viele sozialpädagogische Programme zur Integration unterprivilegierter „Nicht-ganz-Deutscher“ aufhören: Beim Erfolg der zuvor fürsorglich Betreuten.
Otto, Jakob, Emi und Casio, zusammen die Band „6 Blu Sox & 2“, haben den ersten Preis eines Rockwettbewerbs gewonnen, gehen auf Tour, und der Mann von Sony winkt mit dem Plattenvertrag. Alles ganz wunderbar, wenn nicht plötzlich der afro-deutsche Sänger und Frontman Otto im Mittelpunkt des Interesses stünde und der Gründer der Band, Jakob, aus Neid begänne, gegen Otto und dessen heißgeliebte Freundin Mona zu intrigieren. Jakob setzt allen Beteiligten den Floh ins Ohr, Casio habe etwas mit Mona, und bevor sie sich's versehen, ist Otto so verzweifelt, daß er Selbstmord begeht.
Aus Othello wurde Otto, aus Jago Jakob, aus Desdemona Mona, und der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Sehr frei nach Shakespeares Othello hat die Berliner Theaterproduktion „Strahl“ das Musiktheaterstück bereits 1994 nach einer Idee und unter Regie von Ferry Ettehad inszeniert.
Musik und Dialoge sind direkt auf das jugendliche Publikum zugeschnitzt, die Handlung ist mit Sex und Action gewürzt. Jakob „Kuschis“ Lügengespinst fügt sich prima zu der whiskygetränkten Dummheit (Teufel Alkohol!), der Naivität und Teilaufrichtigkeit der Rest-Band. Nur: Was hat das alles mit Ottos Hautfarbe zu tun?
Das Vokabular, mit dem die „6 Blu Sox & 2“ Otto bedenken – „Dicklippe“ usw. –, die Eigenschaften, die vor allem „Kuschi“ ihm zuschreibt – Liebhaberfähigkeiten, Unkontrolliertheit – werden aus dem Ärmel gezaubert, als hätten Kuschinski, Casio und sogar Emi nur darauf gewartet, ihren lange verheimlichten Rassismus auf Otto abzuladen und auch einmal „Bimbo“ sagen zu dürfen.
Dadurch gerät die Sozialneid-Parabel in Schieflage: Die irrationale Logik, nach der einem, der nicht deutsch aussieht, Rechte, Glück und Zuwendung abspenstig gemacht werden, erschließt sich nicht. Statt dessen mutieren eigentlich ganz sympathische, fröhliche Jungs und Mädels zu artikulationsschwachen Monstern und dürfen nachher Reue zeigen.
Und letzlich war alles ja auch nur ein dummes Mißverständnis, schließlich hätte Mona nur ein klares Wort zu sagen brauchen ... Aber sie redet nicht, und überhaupt sind die Frauen im Stück zum Geliebtwerden und Solidarischsein da, und die Männer müssen sich wieder wegen Ruhm, Ehre und Besitzansprüchen uneins werden.
Ulrike Winkelmann
bis 15. November, Mo bis Fr, 11 Uhr, Do und Fr: auch um 19 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen