Alles hinsetzen!

■ Mit der Schau internationaler Sitzmöbel-Klassiker fordert Delmenhorst die ganze Konkurrenz heraus

In dieser Ausstellung auf dem Delmenhorster Nordwolle-Gelände sitzen die BesucherInnen die Schönheit funktionaler Gestaltung regelrecht aus: Überall stehen Stühle, Sessel, Hocker und Fauteuils herum. Mathias Schwartz-Clauss, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Vitra Design Museum in Weil am Rhein: „Wir haben die Ausstellung 100 Masterpieces hauptsächlich als Sitzmöbel-Schau konzipiert, weil kein Möbel dem Menschen näher ist als der Stuhl. Stühle sind doch fast wie Kleidungsstücke.“

Gute Kleidung ist bequem und unterstreicht die Persönlichkeit ihrer TrägerInnen. Doch folgen auch Sitzmöbel diesem Ideal? Nein, denn nicht alle der hundert ausgestellten Entwürfe und Prototypen der Designgeschichte machen es den KäuferInnen leicht, im Sitzen eine gute Figur zu machen. So erscheint die Ästhetik der Möbel nicht selten als reines L'art pour l'art. Doch solche Entwürfe entgingen der Bestrafung nicht: Für die Massenproduktion kamen sie nie in Frage. Einige immerhin prägten dafür aber gestalterische Stile. Die Vitra-Sammlung versteht und dokumentiert Gebrauchsdesign als bildende Kunst. Und so stehen die Stücke auch in Delmenhorst: Es sind wertvolle zeitgenössische Exponate mit der Aura von Originalen.

Die, so der genaue Ausstellungstitel, „100 Masterpieces aus der Sammlung des Vitra Design Museums“ ist die erste große Sonderausstellung des soeben eröffneten Nordwolle-Museums. In der Schau sind Meisterstücke von Desingnern wie Philippe Starck, Alvar Aalto oder dem Ehepaar Charles und Ray Eames versammelt. Nach preisgekrönten Entwürfen der Eames wurden seit 1957 beim Schweizer Unternehmen Vitra Büromöbel gefertigt. Ein Prototyp der Ottomane „No. 670 und No. 671“ gehörte zu den ersten Sammlungsstücken des Museums und gilt heute als ein Klassiker unter den Sesseln.

Und diese Klassiker schreiben Geschichte. Die Ausstellung zeigt, daß die Geschichte des Designs ein komplexes Konvolut aus Skizzen, Bilddokumenten und Patentschriften ist. Auch die kann einsehen, wer mag, denn zwischen allen Stühlen hängt Archivmaterial - und manches davon wurde noch nie gezeigt.

„Mit der Ausstellung schaffen wir Konkurrenz zu Bremen“, droht Gerhard Kaldewei, der Leiter der Städtischen Museen Delmenhorst. Doch er spricht von einer Konkurrenz im besten Sinne, denn es gelte, sich gegenseitig zu beflügeln. Das Übersee-Museum etwa habe mit seiner Mendini-Schau zuletzt viel Publikum angelockt. Und „nun zeigt eben Delmenhorst kosmopolitisches Flair“, sagt Kaldewei und geizt nicht mit großen Gesten. Recht hat der Mann, denn in den historischen Fabrikhallen sehen die Möbel einfach großartig aus.

Die Bremer Region soll der Design-Metropole Hamburg schon bald das Wasser reichen können. Denn nach Kaldeweis Angaben ist das Nordwolle-Museum einer der wenigen Orte in Norddeutschland, an denen Industriedesign in authentischen Produktionshallen gezeigt werden kann. Kein Wunder deshalb, daß Delmenhorst die einzige deutsche Station der Schweizer Wanderausstellung ist.

Katrin Patzak

„100 Masterpieces“ bis 2. Februar 1997 im Fabrikmuseum Nordwolle; Katalog 48 Mark, CD-Rom 58 Mark