: Die Ahnengalerie als Alphabet
■ Enorm affektgeladen: Das Museum Bochum zeigt Bilder von Valerio Adami
Daß in der Kunst alles fließt, gehört zum Kanon der Moderne. Nur ein Genre ist von diesem Wandel verschont geblieben: die Porträtmalerei. Nun lassen sich auch Andy Warhols Siebdrucke und Serien wie eine Ahnengalerie des 20. Jahrhunderts lesen. Doch die Bilder von Marilyn Monroe, Mick Jagger oder Jackie Kennedy sagen mehr über die Faszination an der Unschärfe aus, die sich zwischen kühler Reproduktion und ironischer Übertragung ergibt. Die abgebildeten Personen selbst sind in diesem Spiel mit den Medien eher Material als Ikone.
Bei Valerio Adami liegt der Fall komplizierter. Immerhin hatte sich der 1935 geborene italienische Maler von der Pop-art die Darstellung einer „psychischen Realität“ erhofft – profaner als de Chiricos Pittura Metafisica und enorm affektgeladen. Freud starrt von Fliegen umgeben aus dem Zugfenster, Benjamin grübelt verloren zwischen den Felsen von Port Bou. Adamis Intellektuellen-Porträts sind Chiffren, bei denen sich Anekdoten, Tragödien und zuletzt Geschichte unter die Gesichtszüge mischen. Nur die strenge schwarze Umrißlinie hält die mit Bedeutung vollgeschriebenen Körper auf monochromem Grund zusammen.
Tatsächlich lebt Adamis Malerei von der Kontur, deren Ausgestaltung die Zeichnung vorangeht. Allein „wenn ein Körper gezeichnet ist, findet er sich ohne Materie und verläßt seine Identität“, so Adami. Offenbar sind es immer die gleichen Spuren, die zum Unbewußten führen: Erst wenn sich der Künstler „die Zeichen, die Formen, die Alphabete, die im Gedächtnis und in unserer Erfahrung versteckt sind“, auf der Leinwand gesichert hat, entsteht das bildnerische Umfeld. Trotzdem war es die Nähe der frühen Badezimmer-Paintings zur Pop-art, für die Valerio Adami 1964 mit 29 Jahren auf der Documenta III ein eigener Raum gewidmet wurde.
Auch auf den 120 großformatigen Gemälden und Zeichnungen im Museum Bochum schillert es psychologisch. Allerdings sind die Porträts mit „Knacks“, wie ihn Deleuze so gerne mochte, inzwischen zu Monumenten erstarrt. Oder zu illustrativem Kitsch, wenn sich auf „Un Amore“ (1990) rosafarben hingesunkene Männer am Glied fingern lassen – die Sense stets im Hintergrund, um dem vorangestellten Motto „a love: death“ zu genügen.
Seine Themen sucht sich Adami derweil lieber in der antiken Mythologie als im Leben. Dabei korrespondiert der Rückzug auf Penthesilea oder Hölderlins „Hyperion“ mit der Klage über eine Kunst, der die Heldenmotive verlorengegangen sind. „Der Sinn fürs Tragische hat sich von einem durch die Götter bestimmten Schicksal wegbewegt, auf eine vom Profit des Menschen hervorgebrachte Welt zu“, mahnt der Maler im Katalog, um dann im Bocksgesang fortzufahren: Wer Emotionen möchte, der „soll sie im Kino oder im Stadium suchen“. Vor einem Jahr hat Adami in Liechtenstein sein eigenes Institut gegründet, das sich der Praxis und Theorie der Zeichnung widmen soll – schließlich schafft sie allein „solide Käfige“, mit denen der Maler seine Phantasie festhält. Harald Fricke
Bis 24.11., Museum Bochum, Katalog 25 DM
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