: Erinnerung an den NS-Terror aufgeschoben
■ In Berlin soll der Neubau für die Ausstellung „Topographie des Terrors“ aufs Jahr 2000 verschoben werden. Der Stiftungsbeirat befürchtet, daß das Projekt nie realisiert wird
Berlin (taz) – Am auffälligsten auf dem Gelände der „Topographie des Terrors“, also dort, wo sich früher die Gestapo-Zentrale, die SS-Führung und das Reichssicherhauptamt befanden, ist ein langer, gelber Bauzaun. Dahinter heben zwei Bagger die Erde aus und schütten sie auf einen Berg, der inzwischen an die 15 Meter hoch ist. Ein großes Schild verkündet, daß hier der Berliner Senat den Neubau des Internationalen Dokumentations-und Begegnungszentrums Topographie des Terrors errichtet. Die Einweihung, so heißt es dort, sei für den 60. Jahrestag der Novemberpogromme 1998 geplant. Diese Idee ist inzwischen Schnee von gestern. Der Senat will den Bau auf das Jahr 2000 verschieben. Aus Spargründen, denn angeblich entlaste dies den Etat um 45 Millionen Mark. Zu vertreten sei dies auch, verteidigte sich Kultursenator Peter Radunski (CDU), weil das jetzige Ausstellungsprovisorium, der Pavillon am Rande des alten Prinz-Albrecht- Geländes, auch ohne einen Neubau auf große Akzeptanz stoße.
Mit anderen Worten: Der Senat jubelt das 1987 errichtete Provisorium zum Dauerzustand hoch. Eine Strategie, die auf Protest stößt: Die Stadt wolle ihre Geschichte „entsorgen“, heißt es inzwischen sogar aus Amerika.
Vor diesem Hintergrund von Sparschwert und Protest tagte nun gestern der Internationale Beirat der Stiftung Topographie des Terrors. Unter der Überschrift „Darf sich Berlin die Erinnerung an die NS-Zeit ersparen“ verfaßte das Gremium eine Erklärung, die der Beiratsvorsitzende Ignatz Bubis auf einer Pressekonferenz an der Baulücke vorlas. Die Kritik ist scharf. Die Verschiebung bedeute eine „ernste Gefährung“ des Projekts, der Senat habe damit „sein Wort gebrochen“, die Erinnerung an die Geschichte wachzuhalten. Die angeblich eingesparten 45 Millionen Mark seien Augenwischerei, denn 17,5 Millionen davon habe der Bund zugesichert. Wenn Berlin den Neubau, dessen Grundstein im vergangenen Jahr gelegt wurde, jetzt nicht realisiere, verfalle dieser projektgebundene Zuschuß. „Aufgeschoben ist in diesem Falle also aufgehoben.“ Zudem seien acht Millionen bereits für den Wettbewerb und für die bauvorbereitenden Maßnahmen ausgegeben, und auch die Verschiebung koste Geld. Denn wenn die Baulücke bis zum Jahr 2000 bleibe, werde das Grund- und Regenwasser bald die Kellerräume des jetzigen Ausstellungspavillon unter Wasser setzen.
Den Senatsbeschluß hatte am Sonntag bei der Gedenkfeier an das Novemberpogrom von 1938 auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Jerzy Kanal, kritisiert. Diese Sparmaßnahme „widerlaufe dem Gedanken der Erinnerung“, sagte er. Auf diese Vorhaltung reagierte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) in peinlicher Weise, indem er auf die Berliner Unterstützungsleistungen für die Jüdische Gemeinde hinwies und auf das Engagement für das geplante Holocaust-Mahnmal. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun“, empörte sich Bubis gestern. Die Erinnerung an die NS-Zeit sei man doch nicht den Juden, „sondern der deutschen Geschichte schuldig“. Anita Kugler
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