Kinder als Kanonenfutter

■ Zum ersten Mal zeigt eine UN-Studie: In Kriegen werden mehrere hunderttausend leicht beeinflußbare „Kindersoldaten“ eingesetzt. Unicef fordert Hilfsprogramme

Bonn (taz) – Kinder werden in Kriegen immer häufiger zunehmend nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Laut einer Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) mußten Ende der achtziger Jahre mehr als 200.000 Kinder unter 16 Jahren als Soldaten dienen – und ihre Zahl steigt ständig. Zur Zeit wird die Zahl der Kindersoldaten auf mehrere hunderttausend geschätzt, sagte gestern Unicef-Forschungsbeauftragter Stuart Maslen bei der Vorstellung des Berichts in Bonn.

In rund zwei Dutzend Staaten dienten Kinder als Soldaten, so Unicef. Allein in Liberia kämpften 18.000 Kinder im Bürgerkrieg. In Ruanda standen erstmals in der Geschichte Kinder unter dem Verdacht, sich am Völkermord beteiligt zu haben. Wie die erste für die UN-Vollversammlung erarbeitete Studie über „Kinder im Krieg“ belege, werden immer mehr Kinder zum Töten gezwungen. Ein Grund für die steigende Zahl von Kindersoldaten sei die „massenhafte Verfügbarkeit“ leichter Waffen, die Jugendliche einfach bedienen könnten. Zudem gälten sie als beeinflußbar, anspruchslos und wagemutig.

Im Libanon und in Sri Lanka seien Kinder dazu getrieben worden, sich zu Selbstmordkommandos zu melden, berichtet die Studie, die nach zweijähriger Forschungsdauer Ende vergangener Woche der UNO übergeben werden konnte. Hauptsächlich leisteten Kindersoldaten Hilfsdienste wie Kochen, Waschen und Saubermachen. Sie hielten aber auch Wache, würden als Spione eingesetzt oder erkundeten unter Lebensgefahr feindliches Gebiet. In vielen Ländern kämpften Kinder auch in vorderster Front oder würden als lebende Minendetektoren mißbraucht. Mädchen müßten Soldaten oft sexuelle Dienste leisten.

Nach Auskunft von Maslen werden Kinder gezielt von Militärs angeworben, aber auch auch entführt und zwangsrekrutiert. Wer sich scheinbar „freiwillig“ der kämpfenden Einheiten anschließe, tue dies in der Regel aus Angst und Hunger, aber auch aus Rache am Tod von Verwandten oder aus politischen und ideellen Gründen. Oft gebe es für Kinder oder Jugendliche nur die Alternative: „Beitritt zur Armee oder hungern“, sagte Maslen.

In der Studie wird gefordert, Minderjährige zu demobilisieren und das Mindestalter für den Dienst an der Waffe auf 18 Jahre heraufzusetzen. In Friedensverträgen sollten Hilfen für die Rückkehr von Kindersoldaten ins Zivilleben berücksichtigt werden. Philipp Gessler