Press-Schlag
: Freiburg des Jahres

■ Der VfL Bochum als kleiner Störenfried im Kreis der Großen

Still und leise ist in der Bundesliga eine neue Tradition entstanden. Und die geht jetzt schon zum viertenmal in Folge so: Junge Mannschaft, ohne große Investitionen zusammengestellt, überrascht Bundesliga mit prima Fußball, der auch noch erfolgreich ist. Nach ihrem bislang populärsten Vertreter könnte man das „Modell Freiburg“ nennen. Obwohl diese Tradition nicht vom SC Freiburg begründet worden ist, denn zuvor war bereits der MSV Duisburg Freiburg. Nach dem SC Freiburg war Hansa Rostock Freiburg. Und offensichtlich ist das Freiburg dieser Saison der VfL Bochum.

Nach 13 Spieltagen steht der Aufsteiger auf dem fünften Tabellenplatz, hat mit sechs Siegen, fünf Unentschieden und nur zwei Niederlagen die beste Startbilanz in 23 Bundesligajahren. Und tritt heute zum „Spiel des Jahres“ (Trainer Klaus Toppmöller) im Viertelfinale des Pokals beim Hamburger SV an. Als der VfL vor acht Jahren zuletzt soweit kam, erreichte er sogar das Endspiel.

Daß der VfL Bochum seine momentanen Erfolge nicht durch eine Potenzierung traditioneller Qualitäten erreicht hat, die jahrzehntelang Malochen und Kämpfen hießen, ist ein echter Kulturschock. Wie die Vorgänger des „Modell Freiburg“ haben auch die Bochumer den Anlauf aus der zweiten Liga zu ansehnlichem Kombinationsfußball gebracht, der sich auch in taktischen Neuerungen ausdrückt. Im Zusammenhang mit dem MSV Duisburg erfuhren wir zum erstenmal vom „Staubsauger“ vor der Abwehr, in Freiburg raunten sie die Zauberworte „Verschieben“ und „Überzahl schaffen“, Rostock präsentierte uns die „Dreierkette“ in der Abwehr, und der VfL Bochum zelebriert totale Flexibilität: Dreierkette, Viererkette, ohne Libero oder mit, die Mannschaft wechselt selbst während des Spiels fliegend.

Trainer Klaus Toppmöller konnte bei der Entwicklung dieser Möglichkeiten ganz nach eigenen Vorstellungen agieren. Ähnlich wie Ewald Lienen, der sich in Duisburg nur mit dem inzwischen verstorbenen Präsidenten Fischdick arrangieren mußte, wie Finke nur den SC- Vorsitzenden Stocker neben sich hat, ist auch in Bochum der Kreis der Mächtigen klein. Verantwortlich ist Toppmöller nur dem schwergewichtigen Vorsitzenden Werner Altegoer und Manager Klaus Hilpert, der sich im Auf und Ab des Vereins schon zehn Jahre lang seinen Posten bewahrt hat.

So konnte sich im Ruhrstadion ohne Gezergel eine Mannschaft einspielen, die mit Dariusz Wosz zwar einen überragenden Akteur hat, deren Spiel aber weniger vom einzelnen abhängig ist als vom Funktionieren des ausgefeilten Zusammenspiels. Und wie seine Vorgänger lebt auch der VfL Bochum im Windschatten des Medieninteresses, das im Ruhrgebiet die Größen aus Dortmund und Schalke fast allein beanspruchen. Zumal sich in Bochum niemand für knallige Geschichten aufdrängt, denn aufregend ist der VfL nur auf dem Rasen. Klaus Toppmöller kämpft weiter tapfer gegen sein Image als Sprücheklopfer und meidet nach wie vor alle Fernsehstudios. Dariusz Wosz hat am liebsten seine Ruhe, geht nach Hause und trinkt Eierlikör. Peter Közle hat schon einen Absturz als Mediendarling hinter sich. Und wo sich Henryk Baluszynski, Tomasz Waldoch und Georgi Donkov hinter mangelnden Sprachkenntnissen verbergen können, tut Thorsten Kracht das hinter staubtrockener Sachlichkeit. Mit seinem fast bis zur Unkenntlichkeit nüchternen Auftritt im „Aktuellen Sportstudio“ verschaffte er sich in Bochum großen Respekt.

Überhaupt schließt man sich auch im Ruhrstadion der demonstrativen Bescheidenheit an, die schon die vorherigen hochfliegenden Außenseiter vorgelebt haben. „Wir sammeln weiter Punkte gegen den Abstieg“, hat Klaus Toppmöller verkündet. Die Angst davor ist nicht unberechtigt, denn alle bisherigen Erfolge (darunter vier 1:0-Siege) bedurften größter Kraftanstrengung. Wenn man jedoch noch einmal auf Duisburg, Freiburg und Rostock zurückschaut, ist mit dem Absturz erst in der nächsten Saison zu rechnen. Beizeiten sollte man schon einmal nach dem Freiburg des nächsten Jahres Ausschau halten – Kaiserslautern gilt allerdings nicht. Christoph Biermann