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Sehnsucht, Steaks und Szene

■ „Durchgebraten“, das sehenswerte Spielfilmdebüt der Hamburger Regisseurin Franziska Jacob

Irgendwo auf einem Acker im Hamburger Umland. Da hocken zwei Männer am Lagerfeuer, sinnieren über die Vorteile kurzbeiniger Pferderassen, gedenken ihrer Tage als Punk-Country-Combo „Punkcow“, erinnern sich an alte Weibergeschichten,und rechtfertigen sich einen Atemzug später für neue. Und kaum ist Nico, der gerade mit verwegen zusammengekniffenen Augen in norddeutsche Weite blickt, tatsächlich der rauhe John-Wayne-Satz: „Ein schönes Stückchen Land hier“ entfleucht, da durchbricht das zickige Klingeln seines Handys die nostalgische Andacht.

Den Zauberknochen der Erfolgreichen braucht Nico (Oliver Broumis) für seinen neuen Job als PR-Fuzzi. Und wenn er nicht gerade in irgendwelchen „meetings“ hockt, schwingt er seinen in edles Tuch gehüllten Hintern auf die Schalensitze seines Sportcabrios. Er liest Home & Style, ißt gerne Sushi und findet den Ziegenbart am über dreißigjährigen Kinn seines alten Kumpels Lukas (Jochen Nickel), den er nach langer Zeit zufällig vor einem Kiosk trifft, albern. Doch längst ist klar, daß Nicos zweite Existenz, fern der Sub, ein reiner Etikettenschwindel ist, daß dem Werber längst irgendwo zwischen Filofax und Chromregal das wirklich wilde Leben abhanden gekommen ist und daß sein Herz immer noch im Takt der alten „Punkcow“-Drums schlägt. Die Begegnung mit „Punkcow“-Gitarrist Lukas und dessen Freundin, der Sängerin Marina (Sharon Brauner), die nichts singen mag, „was nicht aus meiner Seele“ kommt, geben Nicos unbestimmter Sehnsucht einen Stups in eine neue Richtung. Und fortan scheinen sein „Traumjob“, seine „Traumwohnung“ und seine „Traumfrau“, die zugleich seine Chefin (Gabriele Leidloff) ist, ihm wie ein Fluch im Nacken zu sitzen. Und so ist es auch nicht der lethargisch gebannte Nico selbst, der seine selige Widergeburt als Szene-Drifter vorbereitet, sondern das Schicksal in Form eines folgenreichen Quickies.

Eigentlich eine Geschichte, an deren Ende alle auf dem Dach eines Hochhauses stehen könnten, sich den Weltenfrust aus der Seele brüllen und dazu noch ein larmoyant gestimmtes Saxophon hinzuziehen. Doch Regisseurin Franziska Jakob, deren Kurzfilme, die St.-Pauli-Trilogie, manchem noch in guter Erinnerung sein dürften, führt ihre tragikomischen Figuren mit sicherem Gespür für alle Bildklischees durch ihren sehenswerten Erstlingsspielfim. Und so fahndet die Kamera nach ungebrauchten Hamburgansichten, um sie als unaufdringliche Stimmungslandschaften hinter ihren Protagonisten zu entfalten.

Nicht jeder der meist angenehm wortfaulen Dialoge ist den Figuren einfühlsam und schlüssig auf den Leib geschrieben, wie im Falle des Steakhausbesitzers und Werbeagentur-Kunden Herrn Unger. In seinem Monolog über die unseligen Gäste, die es fertigbringen, ein durchgebratenes Steak nahezu aufzuessen, um beim letzten Bissen zu reklamieren, sie hätten „medium“ bestellt und dann mit Minen kaum wiedergutzumachender Verletztheit den zweiten Steakteller entgegennehmen, umreißt der Gastronom nicht nur amüsant den Typus kniepiger Nimmersatts. Er liefert zugleich eine treffliche Elegie über die Koketterie satt in sich Ruhender mit vermeintlichem Lebenshunger, die sich prima als ironische Brechung der allzu romantisch inspirierten Szene-Streuner eignet. Die Hauptfigur bleibt hingegen ein bißchen sprachloser und diffuser als ihre Sonderpostierung, nämlich staunend die eigene Geschichte als Zaungast zu verfolgen, allein zu rechtfertigen vermag. Doch wo sie schweigt, leiht ihr die Musik die Stimme des Großstadtblues.

Birgit Glombitza Premiere in Anwesenheit der Regisseurin, der Hauptdarsteller und der Band „Ja König Ja“, morgen, Metropolis, 21.30 Uhr.

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