Zwischen den Rillen
: Endlich „richtig singen“

■ Filmgekrönte Mutter des Erwachsenenpop: Madonna als Evita

„The greatest social climber since Cinderella“ – die größte soziale Aufsteigerin seit Aschenputtel – wird Evita Perón in einem später rausgefallenen Song von Andrew Lloyd Webbers Oper genannt. Schon treffend: Es geht ums Emporkommen, und das für alle Beteiligten und auf allen im Karrierekampf gebotenen Ebenen: Liebe, Politik, Pop. Solche Geschichten werden im nachhinein gern als Märchen erzählt – was auch den Star, den wir bislang als Madonna kannten, an der ansonsten grausam nüchternen Sache gereizt haben mag.

Es ist ja die Geschichte vom dunklen Mädchen, das sich in der Hauptstadt – sie nannten sie nach günstigen Winden Buenos Aires – als blondes Gift neu erfand, die die Wirklichkeit zum Film bildet. Nach ersten Erfolgen als Seifenoperndarstellerin krallte Eva Duarte sich den damaligen Offizier und künftigen Staatspräsidenten Juan Perón, mit dem sie, unter Zuhilfenahme ihrer darstellerischen Qualitäten, über Radioansprachen ans Volk die erste Republik ausrief, die auf Tango, Medienpopulismus und modernen Mariensex gegründet war. Eine Erfolgsgeschichte, die dem Operettenfußball Diego Maradonas nahesteht: der Underdog als Dompteur der krisengeschüttelten argentinischen Massen, die aus Evita, dem strebsamen Evchen, eine Heilige machten.

Bekanntlich war es jener Andrew Lloyd Webber, selbst hardest working man im Showbiz, Anwärter außerdem auf den verwaisten Thron der großen Broadway-Komponisten, der dem historischen Stoff Mitte der Siebziger seine überlieferte melodramatische Gestalt verpaßte. Weil aber schon immer ein unerlöstes Hollywood-Sentiment in dem Werke schlummerte und das Remake ohnehin die genuine Produktionsform der Gegenwart darstellt, nahm sich für die Neunziger Regisseur Alan Parker („The Wall“, „The Commitments“) der Sache an. Mit geschickter Hand und viel Geld von Konzernen schnürte er eines dieser Multimediapakete: Evita die Legende die Oper der Film der Soundtrack – demnächst in Ihrem Theater.

Daß die „Music From The Motion Picture Evita“ Wochen vor dem Picture selbst auf den Markt kommt, hat trotzdem seine Logik: Parker hat die Szenen praktisch in die fertige Opernkulisse hineingedreht – bewegte Standbilder, von deren gelackter Suggestivkraft das Booklet einen Vorgeschmack gibt: Evita als sexy Landei, das mit Koffer eine regennasse Straße entlanggeht; Evita vor stromlinienförmigen Shure-Mikrofonen als spirituelle Chefin der Nation. Dazu eichingereske Massenszenen, in denen Argentiniens Frauen, tatsächlich eine Kraft hinter der historischen Eva Perón, für ihr Idol auf die Straße gehen. In der universellen Schinkenhaftigkeit von Lloyd Webbers Musik sind diese Genreszenen allesamt schon konkret geträumt. Und wenn das Gelichter einer einsamen Bar sich zu Saxophonklängen im Kopfsteinpflaster spiegelt, sind Déjà vus dein Freund: Es ist das alte Lied von Marlene, Sharon oder Zarah, der ehrgeizigen Schlampe, die zugleich Engel ist. „Ich weiß, daß du sie für eine Nutte hältst“, soll Librettist Tim Rice während der Arbeit an „Evita“ zu Lloyd Webber gesagt haben, „aber bitte mach sie wundervoll.“

Wie gut oder schlecht Madonna beraten war, sich auf diese Männerphantasie einzulassen, läßt den Popdiskurs heute natürlich nicht mehr heißlaufen. Die Theorie, die einmal besagte, Madonnas Wirken sei echte Arbeit am falschen Leben, sei schöner Trash im Herzen der Kulturindustrie, war schon Anfang der Neunziger keine Subversionsmark mehr wert. Seither hat Madonna Ciccone noch zwei passable Platten gemacht und in einer Menge schlechter Filme chargiert, so what? „I wanna be a part of B.A., Buenos Aires, Big Apple!“ singt sie als Evita-Darstellerin im Song „On This Night Of A Thousand Stars“, Zitat der Rede eines Material Girl, das nach oben will, aber es klingt tatsächlich wie ein Bewerbungssingen um den Posten als filmgekrönte Mutter des Erwachsenenpop, dem sie über mehr als ein Jahrzehnt hinweg zwei, drei doppelte Böden eingezogen hat.

Vielleicht macht es deswegen doch ein wenig traurig, wie die Musik zum erhofften Erfolg die Karriere Madonnas noch einmal nachzeichnet und gleichzeitig versiegelt. Prokofjew und Elvis hatte Lloyd Webber anfangs als seine Vorbilder angegeben – eine durchaus ehrenwerte Kluft für einen Mann zu durchschreiten –, und „Evita“ ist ja im Grunde auch ein absolutes Trashprodukt, hindurchgegangen durch verschiedene Stufen der industriellen Bearbeitung, eigentlich schon in der Originalfassung schiwagohaft wild zusammenkomponiert aus Lokalkolorit, Schicksal und Beatles-Melodien. Von seiner Frankensteinnatur will „Evita“ als „Oper“ und sozusagen Wurf von Meisterhand aber gerade nichts mehr wissen. Und die gute alte Madonna macht auch noch mit, indem sie allen Interviewern erzählt, sie habe bei dieser Produktion endlich „richtig singen“ gelernt.

Meister aber erfinden ihre eigenen Rollen. „Evita“ ist die erste Madonna-Produktion, bei der die Heldin am Ende ins Gras zu beißen hat – als Mater dolorosa ihrer Nation. Späte Einkehr beim Katholizismus, der in den Achtzigern nur ein Zitatkreuz zwischen Gummibändern und Stoffetzen war? „All through my mad days / My wild existence“ – da ist was übermächtig geworden gegenüber dem, was so ein Streunergirl sich alles mal um den Hals gehängt haben mochte. Thomas Groß

„Music From The Motion Picture Evita“ (WEA)