: Bestürzender Abschied
■ Es hat sich ausgefitzt: Die wunderschön böse englische Krimiserie läuft nicht mehr
Die deutsche „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulz) zerfiel im August 1996 in zwei Fraktionen: Fitz-Fans und Fitz-Ignoranten. Fitz-Fans waren sonntags abends unerreichbar. Im Oktober zerfiel die „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) der Fitz-Fans ebenfalls in zwei Fraktionen: Staffel-Kundige und Staffel-Unkundige. „Wegen der großen Beliebtheit von Robbie Coltrane als Psychologe Fitz hat das ZDF auch die dritte und letzte Staffel der englischen Erfolgsserie gekauft“, hieß es im Oktober in TV Today. Staffel-Unkundige mit der Angewohnheit, schwatzhafte Programmhinweise nur flüchtig anzulesen, um vorab nicht zuviel zu erfahren, brauchten sich um die Serie „Für alle Fälle Fitz“ scheinbar keine Sorgen zu machen. Wie lange dauert eine Staffel? Bis März 1997? Oder noch länger?
Staffel-Kundige wußten jedoch, daß die dritte und letzte Staffel nur bis gestern reichen konnte. Für die Spiegel-Leser unter den Unkundigen war es eine böse Überraschung, als sie letzten Montag lesen mußten: „Es heißt Abschiednehmen von einer außergewöhnlichen englischen TV-Reihe...“
Das Ende der herrlichen Serie „Der singende Detektiv“ war abzusehen, als der Detektiv allmählich von seiner grauenhaften Schuppenflechte genas. Schließlich war die Krise überwunden und das Rätsel gelöst. Das Ende von Fitz kam abrupt. Die Übernahme einer anderthalbstündigen Bonus- Folge – Fitz ermittelt in Hongkong – sei beim ZDF nun „in der Diskussion“, berichtete am Wochenende die Süddeutsche Zeitung, ohne zu verraten, was es da in Mainz noch zu diskutieren gibt.
Im übrigen werde die Serie „bald schon“ wiederholt. Dann sind sie wieder da: Robbie Coltrane als Fitz, der rauchend im Restaurant sitzt und in eine Vase aschen muß; seine Frau Judith, die sich nie bedankt, wenn der notorisch klamme Fitz ihr seine Wettgewinne in die Hand drückt; Jane Penhaligon, die sich nach einer Nacht mit Fitz von gackernden Kollegen fragen lassen muß, wer oben gelegen hat, und die vor dem deprimierten Jimmy Beck, als sie ihn tröstend umarmen will, erschüttert zurückweicht, weil sie an seinem Geruch ihren Vergewaltiger erkennt; Jimmy Beck, der Aufschneider und Psychopath, als angestrengt scherzender Pate bei der Taufe jenes Kindes, dessen Vater er auf dem Gewissen hat, und zuletzt als Mörder und Selbstmörder, der seinen Tod spektakulär inszeniert, um sich wenigstens am Ende seines Lebens als Mann von Format zu fühlen; der Aufsteiger, der einen subalternen schwarzen Polizisten zu überreden versucht, die Schuld für eine Ermittlungspanne auf sich zu nehmen – und wieder Fitz, der feststellt, daß es ausgerechnet die Frau des Chefs war, die er durch seine psychologische Beratung dazu gebracht hat, ihren Mann zu verlassen. Alle spielen sich auf und murksen doch nur herum, vom Leben überfordert. Sie intrigieren, schummeln, trinken zuviel, wissen nicht weiter und wirken, wenn sie alleine sind, so mitleiderregend hilflos wie die Triebtäter und Psychopathen, die Fitz, wenn er gut in Form ist und sein Röntgenblick funktioniert, in ein geständiges Häufchen Elend verwandelt.
Fitz kann sich auch irren. Dem Alkoholiker, der seine kratzbürstige Frau erstochen haben soll, applaudiert er, bevor die Vernehmung überhaupt begonnen hat, und beglückwünscht ihn zu seiner Tat. Doch der Verdächtige beweist seine Unschuld, indem er eine Operationsnarbe vorzeigt, unter der sich ein den Alkoholgenuß verderbender „Säuferstein“ verbirgt, den er sich aus Liebe zu seiner Frau hat einsetzen lassen. Fitz bricht die Vernehmung ab und sagt im Gehen: „Als ich ihn noch für schuldig gehalten habe, war er mir sympathischer.“ Das Drehbuch hat eben Jimmy McGovern geschrieben und nicht Herbert Reinecker.
Aber auch die überführten Mörder sehen am Ende selten so aus, daß man ihnen ihre Strafe gönnt. Dem Drehbuchautor, dem Regisseur und den Darstellern ist es gelungen, selbst die tückischsten und unangenehmsten Gestalten so zu zeigen, daß es schwerfällt, sich von ihnen zu distanzieren. Sogar der doofe Jimmy Beck wirkt auf einmal wie ein Mensch, wenn er sich in den Armen einer Prostituierten ausweint, die ihn als „armes Schwein“ betrachtet.
Wer Anteil nimmt, möchte am liebsten auch eingreifen. Warum ist Fitz nicht schon in der ersten Staffel der schönen Jane Penhaligon ins Glück gefolgt, sondern bei seiner schnippischen Frau geblieben? Warum hat er seinem maulfaulen Sohn nicht spätestens in der zweiten Staffel die Hammelbeine langgezogen? Und seinen unerträglich soliden Bruder ein für allemal unter den Tisch getrunken?
Manches wird sich vielleicht klären, wenn das ZDF die Serie wiederholt. Oder hat Fitz in Hongkong schon längst die Antwort auf alle Fragen gefunden? Hoffentlich sind die ominösen Diskussionen über die Ausstrahlung der Hongkong-Folge bald abgeschlossen. Gerd Henschel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen