Spracharzt Choleriker

■ Premiere von Lutz von Rosenberg Lipinskis neuem Kabarett-Programm

Der Mann ist wütend. Er kommt rein, latscht durchs Publikum, holt Luft und pöbelt los: „Was hat der Mensch an dem Tisch da vorne für geschmacklose Schuhe an! Sie da hinten, ja, Sie! Meine Güte, warum habe ich so ein häßliches, dummes Publikum?“

Als er die ersten Agressionen an den Premierenzuschauern abgelassen hat, betritt Lutz von Rosenberg Lipinski die Bühne in Alma Hoppes Lustspielhaus und eröffnet sein Programm Kommen und Gehen. Nächstes Ziel seines Zorns sind die Beamten: Sadisten allesamt, und die Busfahrer auch. In den folgenden zwei Stunden erhitzt sich Lipinski an so ziemlich allem, was ihm je begegnet ist: Kinder in Supermärkten, Faxgeräte und Fussel auf frischgewaschenen Hemden. Eines haben alle Erreger der Rosenbergschen Wut gemein: Sie sind alltäglich und unpolitisch.

Nachdem er sich warmgeschimpft hat, wendet sich der Kabarettist dem Hauptthema des Abends zu – den Männern und Frauen und was aus dieser Kombination folgt. Auch bei dieser Frage gerät er über Allgemeinplätze in Rage: Frauen sagen nie, was sie wollen und können nicht rückwärts einparken. Männer können zwar einparken, denken aber außer an Fußball nur an Sex.

Als Rosenberg schließlich ernst wird, um dem Publikum seine Vision der vollkommenen Liebe nahezubringen, reagieren die Zuschauenden mißtrauisch ob des plötzlich verrauchten Ärgers. „Willst Du eine Zigarette?“ fragt eine Frau in der ersten Reihe und erntet allgemeines Gelächter.

Viele Wutanfälle später beginnt Rosenberg endlich mit dem, was er am besten kann: sprachphilosophisches Kabarett. Wem wäre schon aufgefallen, daß die Deutschen träge sind und sich stets setzen, selbst wenn sie in Bewegung sind? „Nur die Kinder sind bei uns unterwegs“, resümiert Rosenberg Lipinski. „Und dann werden sie in die Welt – gesetzt. Und stehen nie wieder auf.“ Seine Spitzfindigkeit verwundert ohne übertrieben zu wirken und deckt Widersprüche auf, über die sonst niemand nachdenkt. „In Bewegung kann man nicht bleiben“, stellt er nüchtern fest. „Wenn man bleibt, bewegt man sich nicht, ist sozusagen eine Immobilie.“ Und das macht ihn wütend.

Schnell entfernt er sich wieder vom Thema Sprache, denn es gibt ja noch vieles, das des Ärgerns wert ist. Das Publikum zum Beispiel. „Ihr sollt nicht klatschen, ihr sollt nach Hause gehen!“ nörgelt Rosenberg Lipinski in den mäßigen Applaus hinein. Dann sammelt er seinen letzten Frust und meckert zusammenhanglos: „Du bist und bleibst ein Stück Dreck!“ Ob er sämtliche Agressionen losgeworden ist, bleibt offen – falls nicht, sollte er den Rest lieber daheim äußern. Judith Weber

Heute, 20 Uhr, Alma Hoppes Lustspielhaus, Ludolfstraße 53, und 22./23. und 28.-30. November, 20 Uhr, SchlapplacHHalde, Rentzelstr. 17