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Bequemes Pardon

■ Norbert Freis „Vergangenheitspolitik“

Der Zeithistoriker Norbert Frei hat ein aufregendes Buch veröffentlicht: Vergangenheitspolitik. Frei stellt das Buch, eine Studie über „Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit“, heute abend in der Heinrich-Heine-Buchhandlung vor – ein bitteres Lehrstück über fünf Jahre bundesdeutscher Politik.

Prononciert verwendet der Autor den Terminus „Vergangenheitspolitik“ statt des nebulösen Begriffs „Vergangenheitsbewältigung“. Fragend untersucht er die ersten Bonner Jahre, eine „Phase größter Milde“ gegenüber NS-Mitläufern und NS-Tätern. Wie ging der bundesrepublikanische Staat in seinen Anfangsjahren mit der NS-Vergangenheit um? Was bedeutete diese Vergangenheitspolitik für die Legitimation und Stabilisierung der jungen Demokratie? Wie groß war der deutsche Gestaltungsspielraum angesichts des alliierten Kontrollanspruchs?

Frei belegt, wie die Deutschen mit ihrer „braunen“ Vergangenheit umgingen: Nationalsozialistische Mitläufer wurden großzügig amnestiert, inhaftierte Kriegsverbrecher alsbald freigelassen. „Mitte der fünfziger Jahre mußte fast niemand mehr befürchten, ob seiner NS-Vergangenheit von Staat und Justiz behelligt zu werden“, faßt Frei die nachkriegsdeutsche Geschichtsblindheit zusammen. Die Empörung über diese Schlußstrich-Mentalität greift zu kurz, wieVergangenheitspolitik eindrucksvoll darlegt. Dolf Sternberger hatte seinerzeit geschrieben: „Man fühlt, man muß eine positive neue Ordnung schaffen und darum ein weites Herz haben, viele Chancen geben, viele tolerieren, die gestern Feinde waren.“ Es sei „ebenso notwendig wie unvermeidlich“ gewesen, das Millionenheer ehemaliger Parteigenossen in die neue bundesrepublikanische Gesellschaft zu integrieren, davon ist Frei überzeugt. Sicher, die moralischen Kosten dieser Politik der Pardonierung waren hoch. Frei interpretiert den fast unbegrenzten Willen zur Amnestie als indirektes Eingeständnis der gesamtgesellschaftlichen Verstrickung in den Nationalsozialismus: Die deutsche Gesellschaft entschuldete sich gleichsam selbst. Mit diesem Kurs der inneren Befriedung kompensierten die Deutschen die Erfahrung der politischen und moralischen Katastrophe. Eine offene, selbstkritische Debatte über die NS-Vergangenheit unterblieb – ein hoher Preis für die Demokratisierung und eine bleibende Hypothek für die folgenden Generationen. Uns Heutigen bleibt, Norbert Freis fundierte Geschichte der frühen NS-Bewältigung zu lesen und seine schmerzlichen Thesen zu diskutieren. Frauke Hamann

Lesung: heute, Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstraße 1, 20 Uhr

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