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„Die Mörder kommen zurück“

■ Die Massenrückkehr der Hutu-Flüchtlinge nach Ruanda weckt Ängste unter den Überlebenden des Völkermordes

Gisenyi (wps) – Im dämmrigen Licht des heruntergekommenen Hauses, das sie letztes Jahr von Soldaten zugeteilt bekam, erzählt Janvière Mungorewero, wie Hutu- Milizionäre vor zweieinhalb Jahren ihre Schwester und deren fünf Kinder abschlachteten. „Jetzt kommen die Mörder von damals zurück“, sagt sie leise und blickt ängstlich um sich.

Einer der mutmaßlichen Mörder steht draußen vor der Tür: Charlie Juma, Alteigentümer des Hauses und einer der 600.000 ruandischen Hutu, die im Laufe der letzten Woche aus Zaire nach Ruanda zurückgekehrt sind. Der 30jährige Charlie läuft nervös auf und ab. „Ich weiß nicht, warum die da drin Angst haben“, sagt er. „Als in Gisenyi der Völkermord geschah, war ich in meiner Garage und bin nie hinausgegangen.“

Aber ein Augenzeuge hat behauptet, daß Charlie Juma ein eifriges Mitglied jener Hutu-Milizen war, die im Frühjahr 1994 jede Nacht von Tür zu Tür gingen und Menschen mit Macheten umbrachten.

Zunächst einmal muß Ruandas Tutsi-dominierte Regierung die Rückkehrer füttern, unterbringen und transportieren. Dann beginnt die viel schwierigere und gefährlichere Aufgabe, die Rückkehrer in eine Gesellschaft zu integrieren, die sich vom Tod von über einer halben Million Menschen 1994 noch nicht erholt hat.

Paul Kagame, Vizepräsident und Verteidigungsminister in Ruandas Regierung und „starker Mann“ des neuen Regimes, erklärte gegenüber Journalisten am Mittwoch, daß „meines Wissens“ kein Rückkehrer verhaftet worden sei. „Wir haben sie alle in ihre Dörfer gehen lassen“, sagte er. Aber in einem Schulhof von Gisenyi leben ein paar hundert junge Männer und ihre Familien, die nicht nach Hause dürfen. Tagsüber können sie sich frei bewegen, aber nachts müssen sie in dem Hof bleiben, bewacht von bewaffneten Soldaten.

Alle Insassen des Schulhofs kommen aus dem zairischen Lager Mugunga, von dem die UNO dieses Jahr berichtete, daß 80 Prozent aller jungen Männer zur radikalen Hutu-Miliz „Interahamwe“ gehörten. Viele von ihnen wirken auffallend kräftig und wohlhabend. Sie haben Schuhe und Armbanduhren. Einer, muskelbepackt wie ein Gewichtheber, hört Walkman.

Die Behörden haben ihnen gesagt, daß sie fünfzehn Tage warten müssen, bis neue Wohnungen für die Tutsis in ihren alten Häusern gefunden worden sind. Das ist die gesetzliche Wartezeit in Ruanda zur Rückgabe von Grundeigentum an Alteigentümer. „Die Behörden sagten uns, wir müssen hierherkommen, um uns registrieren zu lassen“, sagt Joseph Koroti, ein 62jähriger Hutu-Pfarrer im Schulhof. Er beklagt sich, daß er nicht zu seiner Familie ziehen darf, die bei der Flucht 1994 zurückblieb.

Gisenyis Vizebürgermeister Emmanuel Rutaboba sagt, die meisten Schulhofinsassen seien Mitglieder der „Interahamwe“. Aber er bestreitet, daß sie verhaftet werden sollen. „Wenn sie wiederangesiedelt worden sind, werden ihre Dorfgenossen aussagen, wer getötet hat“, erklärt Rutaboba. „Wer getötet hat, wird angeklagt und kommt vor Gericht.“ Nur sitzen in Ruandas Gefängnissen schon 85.000 Menschen, die alle darauf warten, vor Gericht zu kommen.

Einer der Männer im Schulhof heißt Donnat Shawiga. Bevor er nicht nach Hause darf, „gibt es keinen Frieden“, tönt er. Aber in seinem Haus lebt heute eine alte Tutsi-Frau, Maria Nyabajambere, mit 20 Angehörigen und Bekannten. „Die Interahamwe haben meine Freunde getötet und meine Brüder und meine Kinder“, sagt sie bitter und lehnt sich auf ihren Stock. „Ich verlasse dieses Haus nur, wenn sie mich auch töten.“

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