Hunderttausende Flüchtlinge gesucht

■ Hilfsorganisationen suchen vergeblich in Zaire nach 700.000 ruandischen Hutu-Flüchtlingen, die nach UN-Berechnung noch da sein müßten. Der Verdacht wächst, daß die UNO-Zahlen völlig übertrieben sind

Berlin/Bukavu (taz/AFP) – Wer sich von einer Hilfsorganisation versorgen lassen möchte, dem kann man nur raten, nach Zaire zu gehen und sich als ruandischer Hutu zu verkleiden. Hilfsorganisationen sind nämlich dringend auf der Suche nach 700.000 ruandischen Hutu-Flüchtlingen, die angeblich in Zaire herumirren sollen. Die Rechnung ist einfach: Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte im Sommer 1994 1,2 Millionen ruandische Hutu-Flüchtlinge in Zaire. Da 500.000 jetzt nach Ruanda zurückgekehrt sind, müssen noch 700.000 übrig sein. Aber wo?

Nach UN-Vermutungen sind sie in der Nähe des ostzairischen Bukavu, das seit sechs Wochen von den Rebellen der Banyamulenge kontrolliert wird. Aber Journalisten und Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, die am Mittwoch erstmals seit zwei Wochen wieder nach Bukavu durften, hielten dort vergeblich nach Flüchtlingen Ausschau. Das Flüchtlingslager Kakucha in der Nähe von Bukavu war praktisch verlassen. Anfang November hatte das Lager noch rund 100.000 Menschen beherbergt.

Die Spekulationen sind widersprüchlich. Einigen Berichten zufolge befinden sich Zehntausende nördlich von Goma auf der Flucht. Andere sprechen von einem Flüchtlingszug in Richtung Süden auf Bukavu. Dritte berichten von Flüchtenden auf den Straßen nördlich und westlich von Bukavu.

„Niemand hat all die Flüchtlinge wirklich gesehen. Wir haben nur Berichte darüber“, gesteht die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation in Bukavu. Vielleicht sei es an der Zeit, die bisher genannten Zahlen zu überprüfen, fügt die Frau hinzu, die lieber nicht namentlich zitiert werden möchte.

Die Präsenz einer großen Zahl hilfsbedürftiger Flüchtlinge diente letzte Woche der UNO als Grund, die Stationierung einer 10.000 Mann starken internationalen Schutztruppe in Ostzaire zu beschließen. Nun wollen Militärs führender Entsendestaaten heute im Europa-Hauptquartier der US- Armee bei Stuttgart das UN-Mandat neu beraten. Die USA haben bereits klargemacht, daß sie keine Soldaten nach Zaire schicken wollen, sondern statt dessen eine militärisch abgesicherte Luftbrücke von Uganda nach Ruanda planen. Kanadas Vizeaußenminister Gordon Smith sagte gestern, die militärischen Optionen reichten von der Absage des Militäreinsatzes über logistische Hilfe ohne Bodentruppen bis hin zu einer Intervention.

Eine Intervention wird von der Regierung Zaires favorisiert, die sich davon Beistand gegen die Banyamulenge-Rebellen erhofft. Deren Militärchef André Kassasse versprach am Mittwoch auf einer Großkundgebung in Goma, nicht zu ruhen, bis Diktator Mobutu von der Macht verjagt worden sei.

Auch ruandische und burundische Politiker nehmen an dem Streit um die Flüchtlinge teil. Ruandas Tutsi-dominierte Regierung sagt, es gebe kaum noch ruandische Flüchtlinge in Zaire, und lehnt einen Militäreinsatz strikt ab.

Hutu-Gruppen fordern weiter Militäreinsatz

Die ruandische Hutu-Exilpartei „Widerstandskräfte für die Demokratie“ des Ex-Premierministers Faustin Twagiramungu nennt die Haltung der ruandischen Regierung dagegen „schamlos“ und ruft zu einer Militärintervention auf, um „den andauernden Völkermord gegen ruandische Flüchtlinge in Zaire zu beenden“.

Burundis größte Hutu-Partei „Frodebu“, die seit dem Militärputsch vom Juli noch im Exil operiert, verlangt ebenfalls eine Militärintervention und hat eine eigene Lösung für das Rätsel der verlorenen Flüchtlinge. Danase Muganga, Frodebu-Vertreter in Deutschland, erklärte gegenüber der taz, in Zaire hielten sich 600.000 burundische Flüchtlinge auf. Das Schicksal der meisten sei „nicht bekannt“, seitdem die Banyamulenge-Rebellen die an der Grenze zu Burundi gelegene Stadt Uvira erobert hätten, sagte er. „Als Uvira eingenommen wurde, wurden viele Flüchtlinge nach Burundi vertrieben, und als sie die Grenze überschritten, wurden viele festgenommen. Viele sind verschwunden oder sitzen in Gefängnissen.“ Eine Militärintervention sei nötig, um für diese Rückkehrer „Schutzmaßnahmen“ zu treffen. D.J.